: Für die abgespülten Triebe
■ Immer wieder Wagenfeld: Nicht nur in Tausenden von Haushalten, sondern auch in Berlin bei Schröders und in einer ganzen Ausstellung im Wagenfeldhaus sind an seinem 100. Geburtstag Werke des Designers zu sehen
Jene Türklinken, die der Toilettengänger im Wagenfeld-Haus drückt (und manchmal auch herzt), wird in Bälde auch Gerhard Schröder drü-cken (und vielleicht auch herzen). Das Berliner Kanzleramt wird nämlich mit just den gleichen Wagenfeld-Klinken ausgestattet. Den gleichen? Nicht wirklich. Für den Kanzler müssen es nämlich Spezialanfertigungen sein, deren Wesensmerkmal ihre Feuerfestigkeit ist. Damit sie bei seinem Anblick nicht dahinschmelzen oder so. Kein Flax, echt nich'.
Gar manches von dem vor 100 Jahren in Bremen geborenen Meis-ter der Schnörkellosigkeit wird in lückenloser Kontinuität produziert, wahrscheinlich noch in einige weitere Jahrhunderte hinein, neben diversen Klinken zum Beispiel das Salatbesteck, welches DAS Salatbesteck schlechthin ist, quasi das Ursalatbesteck, vergleichbar nur mit Goethes Urpflanze. Das Alter ist spurlos an ihm vorübergegangen, ohne Falten und Cullulitis. Anderes ist nicht mehr herstellbar, weil das handwerkliche Know-how abhanden gekommen ist; keineswegs alles aus des Meisters Feder ist nämlich geeignet für jene einst hoch geachtete, innig beschworene industrielle Massenproduktion mit sozialdemokratischem Gutes-für-jedermann-Hintergedanken. Wieder anderes wird neu aufgelegt – nicht immer, aber immer öfter – und zwar als so genannte ,Klassiker', also irgendwo zwischen erkennbarer Historizität und Überzeitlichkeit. Und so kann jede Ausstellung über den manischen Sucher nach der makellosen Form immer auch gesehen werden als eine Art Kommentar über Zeitverfallenheit und ewigliche Gültigkeit, pathetisch gesprochen.
Manche gräulichblaue und gräulichgrüne Vase riecht heute schwer nach Rentnerwohnung mit Spitzendeckchen, auch wenn diese gräuslich-gräulichen Farben politically correct sind, dem Naturglas in Form von irgendwelchen Metall-oxiden beigemischt. Bezeichnenderweise wurde Wagenfeld 1966 von einem seiner bedeutendsten Arbeitgeber, dem Besteckeschmied WMF, gefeuert wegen vermeintlicher Altbackenheit. Dieses vernichtende Urteil hielt die Salatseier aus Plastik nicht ab im Alltag aufzugehen. Sie sind als Design nicht mehr erkennbar und bis zu Woolworth vorgedrungen. Für einen Nachbau der legendären Tischleuchte oder eines Teekannenstövchen blättert man dagegen 600 Mark hin. Diese Edelstahl-Tischwaren aus Wagenfelds Bauhauszeit (1923-30) wurden schon damals nur in einer exquisiten Auflage um die 100 Stück produziert, vermutlich, aber nix Genaues weiß man nicht.
Da Wagenfeld für durchdachtes Design steht – Hunderte von Stunden quälte er seine arme Ehefrau mit Gießversuchen mit diversen Teekannen – musste man natürlich auch dem Design der Ausstellung einen Gedanken widmen. Also inhaftierte man die hauseigenen Vit-rinen, verfrachtete sie in die ehemaligen Gestapo-Zellen im Keller und ließ Ausstellungsarchitekten Jakob Gebert langgezogene, in die Wand eingelassene Vitrinen „mit Bühnenqualität“ basteln, in denen die Objekte „wie Schauspieler“ agieren. Eine spezielle Beleuchtung zeigt die Heldendarsteller des profanen Küchenalltags mal als Volumen, mal als Silhouette. Inszeniert wird natürlich weder Tragödie noch Komödie, sondern ein Stück alter Neuer Sachlichkeit. Nur ein ranziger Topfboden macht deutlich, dass es sich bei den diversen Töpfen, Gläsern, Vasen, Bestecken etc. nicht nur um perfekte Tangenten, Hypothenusen und Sinuskurven handelt, sondern um Werkzeuge zur Befriedigung unserer niederen Triebe, die abgespült und getrocknet werden müssen (die Werkzeuge, nicht die Triebe).
Werbegrafiker Bernd Meissner kippt ein wenig Geheimnis über die Ausstellung, indem er die auf den Wänden notierten Mottos der Räume bei Nähertreten verschwimmen lässt. Wahrscheinlich ein Wunder. Er benutzt übrigens die von Wagenfeld geschätzte Schrifttype Akzidenz Grotesk. Jene ausgesuchten Fachleute, die sich in dem schönen Katalog durch (manchmal zu pingelige) Wortkaskaden verewigen durften, wählten dann noch ein paar Zeitgenossen aus, die durch verwandte und doch divergente Positionen Wagenfelds ureigenes Profil schärfen: kaum Organologisches, kaum Asymmetrie, kaum futuristische Dynamik (im Gegensatz zu einer raketenartig durchstartenden Teekanne einer Kollegin).
Eine Ausstellung im Landesmuseum Münster über Design von 1935-55 untersucht zurzeit die Kontinuität der neuen Nüchternheit über die Nazizeit hinweg. Das Dessauer Bauhaus wurde zwar schnell und rabiat abgewickelt. Diverse Ausstellungen des bauhausnahen Wagenfeld (1939 in der Neuen Sammlung in München immerhin die allererste Einzelausstellung eines Designers, 1940 im Museum Görlitz, 1941 in der Kunsthalle Mannheim) demonstrieren aber die Gespaltenheit der Nazis gegenüber der Moderne. Die Anerkennung der Nazis hinderte Wagenfeld aber nicht, 1933 gegen die Gleichschaltung des Deutschen Werkbundes zu protestieren und 1944 den Parteibeitritt zu verweigern, woraufhin er ab an die Ostfront musste. So heißt denn auch der Titel des ersten Vortrags einer längeren Reihe „Moderne und Faschismus. Wagenfelds Designpraxis in den 30ern“ (20. Juni, 18h). Sehr schön. Eher doof dagegen ist vermutlich das, was sich neun Studenten der Hochschule für Künste als Begleitprogramm für die Ausstellung ausdachten. Neben den blauen Pferden werden demnächst auch weiße Kittel – Wagenfelds Lieblingskleidung – durch Wallanlagen und Domshofpassage flattern, Zwitterwesen zwischen „pfiffigem“ Marketing, cooler Popart und öffentlicher Belästigung. Auch eine Tupperparty gibt es, Event, Event. Herr Tupper hat schon sein Okay gegeben, ach wirklich? bk
Während der ganzen EXPO-Zeit, also bis 31.10., Di 15-21h, Mi-So 10-18h, Führungen jeden So 13h
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