: Schöne Gewalt
Ein Fest für Semiotiker und Liebhaber des Extremen: Die Brotfabrik zeigt Filme von und mit Alejandro Jodorowsky
Als Kind wurde der aus Chile stammende Filmemacher Alejandro Jodorowsky von seiner Mutter immer mit seiner eigenen, zu transparentem Hartgummi getrockneten Nabelschnur geschlagen. Und nach jedem Gebrauch machte sie einen Knoten in die Schnur, damit es beim nächsten Mal noch etwas weher tat, ihm und ihr. Mit jedem Knoten, mit jedem Schlag band Mutter Jodorowsky ihren Sohn enger an sich. In Jodorowskys drittem Film „El Topo“ (1973) lässt der schwarze Reiter El Topo (gespielt von Jodorowsky selbst) gleich in der ersten Einstellung seinen Sohn das Bild der toten Mutter im Sand vergraben, bevor sie sich zu zweit auf den Weg ins Ungewisse machen. In „Santa Sangre“ (1989) wiederum verarbeitete Jodorowsky sein gestörtes Verhältnis zu seiner Mutter zum ersten Mal explizit: Fenix leiht seiner armlosen Mutter die eigenen Extremitäten und lässt sich in blinder Liebe als williges Tötungsinstrument missbrauchen, bis er durch die stumme Alma wahre aufrichtige Liebe erfährt und seinen „siamesischen Zwilling“ tötet.
Bizarre Dreieinigkeiten
Auch zwischen diesen beiden Filmen gab es immer wieder Anspielungen auf Jodorowskys Kindheit; peitschende Frauen, bigotte Mütter/Väter, Kinder die ihre Eltern töten. Das Bild des „siamesischen Zwillings“ gab es bereits in „El Topo“, dort sogar als bizarre Dreieinigkeit: der Blinde, dem ein Arm- und ein Beinloser Bein bzw. Arm zur Verfügung stellen – eine von Jodorowskys groteskesten Gestalten. Auch der Freak, der Krüppel, taucht immer wieder als Figur in Jodorowskys Filmen auf, wie überhaupt eine unglaublich komplexe Assoziationskette sein gesamtes Werk durchzieht. Doch die enge Verschränkung von Allusionen, Metaphern, Allegorien und Ikonen verweigert sich eindeutigen Interpretationen: Jodorowskys Spiel – ein Fest für Semiotiker. Seine Filme sind Trip, Realität, Traum, spiritueller Marathon und absurdes Theater in einem.
Visuell ist Jodorowsky ein Verschwender, die Dekadenz, mit der er seine pittoresken Fantasien inszeniert, hat dieselbe Wucht wie seine rauschhafte Umsetzung opulenter Themen: Manie, Religiosität, Sex, Tod, Bestimmung, Gewalt, Verdammnis, Erlösung.
Alejandro Jodorowsky ist einer der extremsten Regisseure aller Zeiten. „Ich mag Gewalt als Ausdrucksform von Kunst. Schönheit muss entweder zwanghaft sein oder gar nicht! Ich will ein Bild schaffen, das man nur 30 Sekunden sieht, aber sein ganzes Leben nicht mehr vergisst.“ Aber wie exzessiv-kinematografisch Jodorowsky auch gearbeitet hat, das Gespür für die kleinen, ruhigen Momente, die bei ihm von einer gleichsam drastischen wie metaphysischen Poesie durchzogen sind, hat er nie verloren. Dann weinen Elefanten Blut aus ihren Rüsseln oder werden Tauben aus klaffenden Fleischwunden befreit.
Das „Dune“-Desaster
Speziell „El Topo“ und „Montana Sacra“ (1973) lebten von Jodorowskys bewusst anti-intellektueller Filmsprache, deren Code bis heute niemand übersetzen konnte. Wer es versuchte, verlor die Fähigkeit, sich auf Jodorowskys Magie einzulassen.
Die Schwierigkeit Jodorowskys, außerhalb seines kleinen Wirkungskreises als brillanter Visionär wahrgenommen zu werden, zeigte sich in dem „Dune“-Desaster. Von 1975–77 hatte er mit dem französischen Comiczeichner Moebius an einem aufwendigen Storyboard für Frank Herberts Romanvorlage gearbeitet. H. R. Giger sollte dem Film ein völlig einzigartiges Design verleihen, als Schauspieler gewann er Orson Welles, Gloria Swanson und Salvador Dali, für die Musik Pink Floyd. Ein Film, der das Science-Fiction-Genre mindestens so revolutioniert hätte wie zehn Jahre zuvor „2001“, musste an der Größe seiner Vision scheitern. Was blieb, war eine tiefe Freundschaft zu Moebius, aus der später der grandiose Comic-Mehrteiler „John Difool“ hervorging, und jede Menge Wut im Bauch, die sich 1989 in dem fantastischen – für Jodorowskys Verhältnisse aber auch überraschend klar strukturierten – Bilderrausch „Santa Sangre“ entlud.
Heute, fast zehn Jahre nach seinem letzten Film „The Rainbow Thief“, lebt Jodorowsky in Paris und beschäftigt sich in erster Linie mit Comics. Wie man hört, denkt er seit einigen Jahren über die Realisierung von „Sons of El Topo“ nach. ANDREAS BUSCHE
„La Constellation Jodorowsky“ –Dokumentation. R: Louis Mouchet,Schweiz 1998, vom 1. 6.–7. 6. ab19.30 Uhr (Erstaufführung!); „El Topo“vom 8. 6.–14. 6., 22.30 Uhr; „Fando yLis“ (1968, Erstaufführung!) vom22.–28. 6., 20.30 Uhr, Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3, Weißensee
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