piwik no script img

Lustig, ihr Wichser?

Der Rapper, der sogar die eigene Mutter hasst: Eminem alias Slim Shady alias Marshall Mathers verwischt alle verfügbaren Rollen im HipHop

von TOBIAS RAPP

Je krasser, desto besser. Das ist eine der Grundregeln des schaustellenden Gewerbes. Bring es heftiger als alle anderen, und es funktioniert. Verschränke Authentizität und Künstlichkeit, bis niemand mehr durchblickt, und du kannst Millionen von Platten verkaufen. Leide unter diesem Umstand, und du verkaufst noch mehr. Bringe dich um, und du verkaufst noch mehr. Bring jemand anderes um, und du verkaufst noch viel, viel mehr. Spiel mit Mord und Selbstmord, und du verkaufst nicht ganz so viel, hast aber mehr davon, es sei denn, es treibt dich noch weiter in die Verzweiflung.

Wenn es ihn nicht tatsächlich gäbe, hätte Eminem für die Rolle des weißen Bad Boy erfunden werden müssen. Mit der „Slim Shady LP“ tauchte er im vorigen Jahr aus dem Nichts auf. Blond, hübsch, tätowiert, drogensüchtig und eine große Klappe: Der White Trash straight outta Trailerpark. Slim Shady war sein Alter Ego, der Stimme gewordene Alptraum einer jeden US-Elternvereinigung, der Springteufel, der alles fickt, was sich bewegt, alles schluckt, was breit macht, und nicht müde wird, den lieben langen Tag sich mit all diesen Untaten zu brüsten. Nur eben nicht schwarz wie die anderen Rapper, sondern so weiß wie die eigenen Kinder. Als wolle er das Spiel noch ein Level höher heben, hat Eminem sich für seine neue Platte verwandelt: Es ist die „Marshall Mathers LP“ und Marshall Mathers ist der Name, der auch in seinem Pass steht.

Doch Eminem spielt nicht. Denn White Trash sein ist kein Spaß. Geboren und aufgewachsen ist er in Detroit, seine Mutter war 17. Seinen Vater hat er nie kennen gelernt. Seine Mutter lebte von der Wohlfahrt und brachte ihren Tag damit zu, Pillen zu nehmen. Den lieben langen Tag wurde er von den Kindern in der Nachbarschaft verprügelt, einmal lag er neun Tage lang im Krankenhaus. Er hat wahrscheinlich mehr halluzinogene Drogen geschluckt als das Publikum von sieben Goa-Raves, und bis vor einem Jahr verdiente er sein Geld mit Gelegenheitsjobs. Sein Onkel Ron, mit dem er zusammen HipHop entdeckte, brachte sich um.

Mathers suchte sich neue Identitäten, und wenn das Hin-und-her-Hüpfen zwischen Slim Shady und Eminem auf der letzten Platte noch etwas Verspieltes hatte, so ist es, seit sein bürgerlicher Name dazugekommen ist, tiefschwarz verzweifelt. In einem fort verkündet er, in Wirklichkeit gerade jemand anderes zu sein, er sei wieder einmal falsch verstanden worden. Nur in einem ist sich Eminem einig: Die Presse, die Fans, die anderen Rapper, die gesamte Popmusikbranche, die Regierung, seine Mutter, das Fernsehen, seine Freundin, seine Freunde, seine Plattenfirma, das Radio, den Rest der Familie und den lieben Gott – er hasst sie alle. Alles Mögliche wollen die drei Persönlichkeiten sein, aber nicht Teil der gleichen Oberfläche wie N’Sync oder Christina Aguillera. Sind sie natürlich trotzdem.

Und so versetzt sich Eminem in die Rolle eines Fans, schreibt sich Briefe, wie sehr er sich mit der Person Slim Shady identifiziere, dass er die gleichen Probleme habe, und dass nur Slim Shady ihn verstehe. Nur um sich selbst zu antworten, er sei kein Role-Model und seine Probleme gingen niemanden etwas an.

Das mag immer noch kalkuliert sein oder einfach geschickt mit den Rollen gespielt, in „Kim“ jedoch kippt die Misanthropie dann final ins Tragisch-Wahnsinnige. Gedacht ist das Stück als Prequel zu dem kontroversesten Stück der Vorgängerplatte, dem Stück, in dem Eminem mit seiner Tochter ans Meer fährt, ihr von Sandburgen erzählt und währenddessen die tote Mutter eben jenes Kindes im Kofferraum liegt. Der Frau, deren Name sich Eminem mit dem Zusatz „Verrotte in Frieden“ auf den Bauch tätowieren ließ. „Kim“ ist nun das Stück, in dem er sie tatsächlich ermordet. Eine fünfminütige Schreierei mit anschließendem Kehle-Durchschneiden. Gut zu wissen, dass vor nicht allzu langer Zeit eben jene Kim im echten Leben eben jenen Marshall Mathers geheiratet hat.

Aber wer weiß. Vielleicht ist es auch nur die Rache an uns, die wir die Idee, mit der toten Freundin im Kofferraum an den Strand zu fahren, um sie zu versenken und zusammen mit dem Töchterchen zum Abschied zu winken, so provokant und lustig fanden. Vielleicht sagt Eminem alias Slim Shady alias Marshall Mathers einfach: Immer noch lustig, ihr Wichser?

Nicht mehr lustig. Diesmal haben wir Angst bekommen.

Eminem: „Marshall Mathers LP“ (Aftermath/Interscope/Universal)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen