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Schule wird verlässlich –schlechter

■ An der Stichnathstraße gab es bisher eine Betreung, die besser war als die „verlässliche Grundschule“, sagen die Elternvertreter / Und bitten um eine Ausnahme-Erlaubnis

Die Einführung der „verlässlichen Grundschule“ soll in Fortschritt sein. Eltern, die darauf angewiesen sind oder es möchten, sollen sicher sein, dass ihre Kinder unabhängig von der Stundentafel morgens zwischen 8 und 13 Uhr „verlässlich“ betreut werden in der Schule. Aber es gibt auch Schule, für die das neue System ein Rückschritt gegenüber dem, was derzeit an Betreuung angeboten wird, bedeutet. So sieht das jedenfalls die Schulkonferenz der Grundschule Stichnathstraße. Die Elternsprecher wandten sich Mitte Mai mit einem Brief an dem Bildungssenator und baten darum, dass sie an dieser Schule bei der alten Regelung bleiben könnten – besser sei die, und für den Bildungssenator auch nicht teurer.

Begründung: Die Kinder, die es brauchten, wurden auch bisher betreut, sogar bis 15 Uhr. „Betreuungsschule“ nannte sich das System. Die schwelle war nicht hoch, Berufstätigkeit oder schlicht die Begrünung, dass die Mutter sich um die vier anderen Kinder kümmern müsse, reichten aus. Kattenturm ist ein „sozialer Brennpunkt“, 100 Kinder waren zur „Betreuungsschule“ nachdem Unterricht angemeldet. Für die anderen Grundschüler organisierte die Schule „verlässlich“ Unterricht von morgens um acht bis 11 oder 13 Uhr, je nach Stundentafel. Mit dem neuen System haben 230 Eltern ihre Kinder zur Betreuung angemeldet. Eine Begründung ist nicht mehr erforderlich. „Obwohl als Elternbeirat allen Elterninteressen verpflichtet, sehen wir das durchaus kritisch. Wir vermuten, dass einige Eltern ohne Not die verlässliche GS als Aufbewahrungsmöglichkeit ansehen“, schreiben die Elternvertreter. Denn diejenigen, die wirklich eine Betreuung brauchen, kommen nun bis 13 Uhr in Gruppen mit 25 Kindern. „Da können wir den Kindern nicht das geben, was sie zu Hause nicht kriegen“, sagt die stellvertretende Schulleiterin Gisela Preuß. Und dann wechselt um 13 Uhr wieder die Gruppe für die, die dann noch „Betreuungsschule“ haben.

Ein anderes Problem: Wenn ca. die Hälfte jeder Klasse zur Betreuung in der „verlässlichen Grundschule“ gehen, dann muss die Schule Kräfte anheuern, deren Arbeitszeit meist zwischen 12 und 13 Uhr liegt. Das ist ein Gelegenheitsjob, pädagogisch qualifizierte Kräfte und Kontinuität kommt da nur in Ausnahmefällen zustande. Die Alternative liegt auf der Hand: die Schule könnte die „Betreuungskinder“ in Klassen zusammenfassen, die dann mal morgens zu beginn, mal zwischendurch und mal mittags ihre „Bereuungsstunden“ haben. Für die Betreuungskräfte ließe sich eine geregelte Teilzeitarbeit organisieren. Aber an einer „Schule mit über 50 Prozent SchülerInnen, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist und vielen deutschen Kindern mit sozialen Auffälligkeiten“, schreiben die Elternvertreter, würde statt der bisher üblichen „Mischung“ der Kinder eine „soziale Schieflagen“ in den Betreuungsklassen entstehen. „Stabile Elternhäuser haben ihre Kinder eher nicht angemeldet“, bestätigt die Lehrerin Hase. Gerade die verhaltenauffälligen Kinder in eigenen Klassen zu konzentrieren würde dem bisherigen pädagogischen Anspruch der schule widersprechen.

Mit Grausen sehen die Lehrer der Schule auch den ersten Wochen des kommenden Schuljahres entgegen. Bisher wurden die „Idötze“ in den ersten Tagen geteilt, hatten nur zwei Stunden „Schnupper-Unterricht“. „Das ist nach wie vor wichtig, um über eine dem Kind gerecht werdende eventuelle Vorklassenzuweisung entscheiden zu können“, argumentieren die Elternvertreter.. Nun gilt die „verlässliche Grundschule“ vom ersten Tag an, da sitzen dann 30 Sechsjährige einer Lehrerin oder Betreuerin vom ersten Tag an gegenüber. Wie soll die Lehrerin den Kindern helfen, sich an die Schule zu gewöhnen? Wie soll sie feststellen, wem von den Kindern die Vorklasse gut täte?

„Die von der Politik eingeforderte Verlässlichkeit ist bei uns für die bedürftigen Kinder schon lange gegeben“, schreiben die Elternvertreter Bernd Nehrhoff und Ralf Meggers. Und sie haben die Sorge, dass das Angebot der „Betreuungsschule“ für die wirklich bedürftigen Kinder demnächst gekürzt wird. „Das Modell der verlässlichen Grundschule wird uns von ihrer Behörde vorgeschrieben. Es berücksichtigt nicht das gewachsene und mit viel Mühe entwickelte Schulprofil. Es berücksichtigt nicht, dass wir in einem beispielgebenden Kooperationsmodell mit Hort und Betreuungsschule eine Verlässlichkeit bereits kennen. Wir bitten als Elternbeirat im Interesse eines geordneten Unterrichtes und einer Beibehaltung unseres entwickelten Unterrichtsstandards auch für die Kinder, die nicht so können wie andere: Nehmen Sie uns von der Einführung dieses Modells aus. Würden wir die Verlässlichkeit nur für die wirklich bedürftigen Eltern anbieten, könnten wir unseren Standart beibehalten.“

In den nächsten Tagen wird die Schule die Antwort des Bildungssenators bekommen. Tenor: Das Modell „verlässliche Grundschule“ gilt für alle Grundschulen in Bremen, Ausnahmen kann es nicht geben. K.W.

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