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Tanz das Erwachsenwerden

■ Bis zum Mittwoch gastieren im Schlachthof Jugendtheatergruppen aus fünf Staaten, die mit ihrem Sprache-Tanz--Mix auch für Erwachsene interessant sind

Am lustigsten sind eigentlich die Termine am Nachmittag danach, nach den Aufführungen. Da gewähren die diversen Theaterensembles intime Einblicke in ihre Probenarbeit. Wobei beim Utrechter Ensemble DOX der Begriff ProbenARBEIT ein purer Euphemismus genannt werden muss. Eher schon praktiziert man eine gesunde, lebenstauglichkeitssteigernde Mischung aus Gesellschaftsspiel, Reaktionstest und Sport. Deren Ziel: „Awareness“, Wachheit, wie DOX-Regisseurin Hildegard Draaijer jenes Wissen vom komplexen gruppendynamischen Gespinst um einen selber herum nennt. Einmal etwa lässt sie ihre sechzehn ElevInnen einen simplen Ball weiterreichen, und zwar mit Kniekehle, Kinn, Achsel, zur Not auch mit dem Hintern, eben allem was einem Körper an Klemmmaterial zur Verfügung steht, wenn ihm der Gebrauch der Hände untersagt ist. Es ist ein großes Verrenken und ein großes Gegrinse. Und irgendwann flackert sie auf, die 68er-Utopie vom befreiten, alle Konventionen elegant überspringenden Körper und Geist; und das wohlgemerkt bei 18- bis 24-jährigen Kids, die ihre Klamotten aus bronxigen HipHop-Videos und Scater-Katalogen abgucken. Absolut rührend.

Irgendwie kein Wunder, dass Schlachthof-Frau Barbara Hirsch meint, ihr ganzes Herzblut hinge an dem seit 1994 bestehenden Festival. Und Dagmar von Blacher von der Kulturbehörde, neben Karl-Heinz Wenzel mitbeteiligt an der schwierigen Recherche nach geeigneten Gruppen, schwärmt dreiviertel-ernst: „Diese jungen Menschen haben eine so großartige, frische Ausstrahlung. Solange nicht eine Regie daherkommt und etwas völlig Fremdes darüberstülpt, ist da alles in irgendeiner Weise faszinierend.“ Recht hat sie.

Das Bremer Jugendtheaterfestival, so klein dimensioniert es mit seinen fünf Gastensembles aus Utrecht, Gent, Padua, Chicago UND Oldenburg, jaja, auch sein mag, dürfte in Deutschland relativ unique sein. Zwar gibt es zuhauf Festivals mit Jugendtheater. Doch da sind zumeist Erwachsene von Stadttheaterbühnen zugange. Zwar sind Schülertheater inklusive dazugehörigen Festivals in diesem Lande regelrecht institutionalisiert. Dort sind aber nicht selten LehrerInnen mit bestem Willen, doch nicht immer entsprechend ausgeprägten Theaterverständnis damit beschäftigt, die Persönlichkeitsfindungsliteratur der eigenen Jugend – Camus, Sartre – auf die Bühne zu hieven. Verdammt klein aber ist die Szene, wo a) es ausgemachte Theaterprofis sind, die mit den jugendlichen Laien arbeiten um b) ganz eigene Stücke zu entwickeln, und zwar inspiriert einerseits von Jugendkultur – Breakdance, HipHop, Pop – andererseits vom modernen Tanztheater, das den Körper auch ohne tiefergehende Spagat- und Pirouettenkenntnisse zum Sprechen bringt. Irgendwo ist mit dieser Mischung aus Wort und Tanz also im Schlachthof zurzeit echte Avantgarde zu besichtigen. Muss ja. Schließlich würde reines Sprechtheater an den Sprachbarrieren scheitern. Manchmal erwischt man sich bei einem flotten Gruppentänzchen sogar beim Gedanken, dass Tanztheatercracks wie Pina Bausch, Rosamund Gilmore oder Reinhild Hoffmann bei den Kids ruhig ein wenig Unmittelbarkeit abgucken könnten.

Zum Beispiel bei DOX. Ziemlich am Anfang steht eine klassische Modern-dance-Geste. Jeder ist mal dran. Doch man hält es mit Frank Sinatra: I do it my way. Und so sieht dieser ausgestreckte Arm mit diesem abgewinkeltem Knie bei einem Gangsterrapper-in-spe verdammt wurstig aus, bei einer coolen Lady dagegen eher genervt, beim einen kokett, beim anderen verunsichert, etc, etc. Womit eigentlich schon ein Grundprinzip der Arbeit mit Laien umrissen ist: Statt die DarstellerInnen in irgendwelche Formen zu pressen, gilt es deren Möglichkeiten inklusive deren Grenzen zu verarbeiten. „Fette Kids finde ich ganz stark. Die sind so raumgreifend“, schwärmt zum Beispiel Dettmar Koch von der Oldenburger Gruppe. Eine großherzige Einstellung, die es ihm ermöglicht, ausnahmslos jedeN in die Gruppe zu integrieren, wenn der/die nur will. Ihre „Lettische Odyssee“ thematisiert ein Stück lokaler Nachkriegsgeschichte. „Zunächst interessierte das kein Schwein“, der Hunger, das Frieren der lettischen Flüchtlinge in Oldenburg. Mit echtem method acting a la Robert de Niro gelang die Annäherung. Eine Art Wunder.

Bei den anderen Gruppen stehen Jugendthemen im Vordergrund: zerborstene Familien, die erste große Liebe, Angst vorm sozialen Absturz, ungewollte Schwangerschaft... Weil die Erfahrungen des Erwachsenwerdens nicht mehr zu vereinheitlichen sind (das wissen die Kids ganz ohne Niklas Luhmann), haben die Stücke oft mosaikartige, offene Strukturen. DOX gar nutzt das Multikulti seiner Spieler – von der Surinamesin über die Israelin bis zum Inder ist alles dabei – als Ressource: Indische Handgelenksverrenkungen mischen sich prächtig mit holländischem Holzschuhtanz. Und am Ende gelingt den Kids das, an was niemand mehr glaubte: ein Bild von der einen großen Menschenfamilie. Glauben Sie jetzt wieder nicht? Dann gehen Sie doch hin! bk

Heute, 20h: TAM Teatromusica aus Padua (tags darauf 15h Demonstration der Arbeitsmethode). Dienstag 20h: Jugendclub Kulturetage Oldenburg (tags darauf 15h...) Mittwoch 20h: Teen Street Company aus Chicago (tags darauf 15h...)

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