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Meerwasserentsalzungssound mit Badelotion

Keine Terroristen, aber jede Menge Handys und bunte Hemden: Khaled, „King of Rai“, schwitzte eindrucksvoll in der Berliner Columbiahalle

Als der algerische Sänger Khaled vor zwei Jahren am gleichen Ort auftrat, gab es verschärfte Sicherheitsvorkehrungen. Kurz zuvor war der Musiker Lounes Maatoub nach der Rückkehr aus dem Pariser Exil in Algerien auf offener Straße erschossen worden. Damals begann Khaled sein Konzert mit einer Schweigeminute. Diesmal werden die Besucher zwar auch auf Waffen durchsucht – aber das ist bei Rockkonzerten ja auch nicht anders. Als während der Show plötzlich ein Typ hektisch an uns vorbei von der Security ins Freie geschleift wird, bemerkt man eine nervöse Alarmbereitschaft. „Wenn man in Algerien spricht, stirbt man, wenn man nicht spricht, stirbt man auch“, hatte Khaled nach dem damaligen Anschlag gesagt.

Das Berliner Publikum ist eine Woche vor Beginn des Karnevals der Kulturen ganz auf Partylaune eingetunt. Vor allem die arabische Community hat keine Kosten und Hilfen aus dem Schminkköfferchen gescheut, um diesen Abend ausgelassen zu verbringen. Inzwischen wird übrigens auch auf Konzerten ausgiebig telefoniert – nicht nur auf dem Klo oder im Garten.

Diesem Publikum mit ungefiltertem, technisch trashigem Rai zu kommen, wäre verfehlt. Die Cassettenmusik, eine im Algerien der Achtziger auch vom damals noch „jungen“ Cheb Khaled mit erfundene Stilrichtung, bildet höchstens noch das bröcklige Korsett von Khaleds Sound. Den Cheb hat er schon vor neun Jahren mit 31 abgelegt, seitdem sei er der „King of Rai“, meint seine Plattenfirma. King of the Charts ist er spätestens seit seinem 96er Superhit „Aicha“, der sich über ein Jahr lang prima verkaufte. Mit Produzenten wie Don Was oder seit einigen Jahren Hitman Jean Jacques Goldmann wurde der einst raue, vom nahen Meerwasser versalzene, für Fremde fast ungenießbare Rai zu einer Art Surfsound ohne scharfkantige Klippen und mit eingebautem Airbag – und damit zum Baustein der westlichen Multikulti-Kultur. Absurde Vorstellung, wegen etwas dermaßen Unradikalem eines fernen Tages vielleicht von Fanatikern erschossen zu werden.

Allein drei Mann auf der Bühne werden von der Bläsersektion verschlissen. Weitere sieben sind den Abend über beschäftigt, ein möglichst nie endendes Groove-Bad einlaufen zu lassen, damit wir den Schweiß unsres Nachbarn für Badelotion halten mögen. Der elfte Mann an Bord – nennen wir ihn kurz vor der EM einfach mal Libero – ist der Pariser Exil-Algerier Khaled. Er wird an diesem Abend in schwarzer Lederhose zunächst ein gelbes, dann ein blaues Hemd durchschwitzen, ein Mützchen ins Publikum verschleudern und vom selben eine selbst gestickte Khaledfahne mit Halbmond gereicht bekommen, die er um das gelbe Hemd wickelt. Eindrucksvoll. Wenn nur die Luft hier unten vor der Bühne nicht so verdammt verdorben dünn wäre. Oben auf dem Balkon ist es besser, die großen Lüftungsrohre pusten uns Seewind zu, und ein kräftiger Algerier hinter mir weiß den Text so perfekt auswendig, dass er die Zeilen immer kurz vor Khaled in die Menge brüllt – guter Souffleur, der Mann.

Die Elf fabriziert erfolgreich ihren Pseudo-Arabic-Groove, aber auch dieser Truppe geht schon nach knapp über einer Stunde die Puste aus. Frenetische Zugabenforderungen erschallen und werden nach einigen Anstandsminuten ohne Murren mit „Aicha“ erfüllt. Beim ersten Mal hatte der Sänger sowieso nicht viel davon – das Publikum sang den französischen Text fast allein. Dann reicht es der Band. Im Garten ist eh schon jemand dabei, sich zu übergeben. Tja, Joints und schlechte Luft.

Beim Rausgehen telefonieren die Ersten mit den armen Daheimgebliebenen. Ja, tolles Konzert, ganz toll. Und „Aicha“ hat er sogar zweimal gespielt. Toll, oder? Bis gleich! ANDREAS BECKER

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