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Ein Hoch auf die Erlebnisökonomie

Nie war ein Platz unromantischer, nie eine Einkaufspassage überflüssiger, nie pfiff der Wind schärfer durch die Häuserfluchten – und trotzdem: Der Potsdamer Platz rules. Er hat richtig Atmosphäre, bietet viel ehrlichen Konsum zum Abgewöhnen und destabilisiert auch noch das System. Ein Rundgang

von JENNI ZYLKA

Wenn man im Korb des Hi-Flyer (der am Potsdamer Platz angebundene Sat.1-Fesselballon, weiß doch jeder!) schaukelt und den Krach der Großbaustelle, das verirrte Hupen der Autos, das verzückte Stöhnen der TouristInnen gedämpft aus 150 Meter Höhe hört, spätestens dann wird klar: Potsdamer Platz rules. Und zwar wie Sau. Nie war ein Platz unromantischer, nie eine Einkaufspassage überflüssiger, nie pfiff der Wind schärfer durch die Häuserfluchten – so viel Metropole war einfach nie.

Diese Wolkenkratzer zum Beispiel. Man weiß nicht genau, was eigentlich in ihnen passiert. Angeblich sind sie mit Büros, also „offices“, gefüllt – ob nun eine echte Autofirma dort residiert oder ein Genmanipulationslabor mit „totem Briefkasten“, weiß niemand. Und wer will behaupten, so etwas habe keine „Atmosphäre“? Hat „Brazil“ keine Atmosphäre oder „Die Firma“?

Wenn man nun in einem der Fahrstühle in einem der mit 20 Stockwerken höchsten Gebäude eine ganz bestimmte Tastenkombination auf dem Bedienungsbrett eintippt, dann hält der Fahrstuhl in der 21. Etage. Jawohl, genau, dort, wo laut Bedienungsbrett eigentlich gar keine Etage mehr sein dürfte. Da ist nämlich ein heimlicher Partyraum mit Champagner, Musik und Mädchen, die nur ein süßes Nichts und ein Fußkettchen tragen. Dort treffen sich eingeweihte, feiste Großindustrielle und trinken den Champagner aus den „Mules“ (das sind moderne Pumps) der Damen. Danach gehen sie mit ihrer Lieblingsdame ins Hotel Hyatt, in die „Daimler Suite“, 2.800 DM/Nacht, 169 Quadratmeter, Gästeklo.

Am nächsten Morgen gucken der verkaterte Industrielle und sein Kätzchen vom Balkon ihrer Suite aus auf die schöne Jeff-Koons-Skulptur vor der Spielbank, die aussieht, als ob ein billiger Kindergeburtstagszauberer eine riesige Ballonblume gebastelt hat, und das Blau (sic!) tut ihnen in den Augen weh. Was man am Potsdamer Platz möglichst nüchtern tun sollte, ist das Imax-3-D-Kino besuchen. Seit einem halben Jahr läuft dort „Siegfried und Roy“, der grandioseste Kitsch, den die Welt je erlebt hat. Das süddeutsche Blondchen aus Rosenheim und der smarte Hannoveraner erzählen die unglaubliche und dreidimensionale Geschichte ihres Lebens. Wie Roy schon als Bub lieb zu Tieren war, „der Schäferhund Hexe war mein einziger Freund“. Wie Hexe ihm einmal im Hannoveraner Morast das Leben gerettet hat. Wie Siegfried seinem kriegsversehrten Vater, der den ganzen Tag trübsinnig ins Feuer starrte, durch einen einfachen Zaubertrick mit einer Münze und einem Glas ein Lächeln entlockte. Und wie die beiden sich später auf einem Kreuzfahrtschiff (!), auf dem sie als Stewards arbeiteten (!), anfreundeten und das erste ihrer vielen, allerliebsten weißen Tigerschen zähmten. Das Schwierigste beim Genuss dieses Super-Breitwand-Tunten-Camp-3-D-Spektakels ist es, nicht direkt loszuprusten und dabei die alberne, große 3-D-Brille zu verlieren. Komischerweise lacht aber sonst niemand im Kinosaal. Das liegt daran, dass TouristInnen in Berlin oft viel toleranter sind als zu Hause. Sie bezahlen auch ohne Murren viel zu viel Geld für all das schlechte Essen um den Potsdamer Platz herum. Und sie gehen in die Arkaden einkaufen, obwohl sie sich durch die Bündelung langweiligster Geschäfte (Wöhrl, Drospa, ProMarkt) doch eigentliche an ihre eigene, kleine Fußgängerzone in Osnabrück, Bremen oder Karlsruhe erinnert fühlen müssten. Jedoch: Allein das Eis bei Caffé e Gelato ist metropolitan gut. Riesige Eisbecher, hinter denen kleine Kinder einfach verschwinden. Dazu läuft den ganzen Tag eine Special-2000-Remix-Dance-Version von Carlos Santanas „Maria, Maria“.

Mehr Devisen für mehr Eis tauschen die TouristInnen in einer merkwürdigen Sparkassen-Filiale in den Arkaden, direkt neben einem nicht minder merkwürdigen Handy-Shop, in dem eine „Kundenberatung in Gebärdensprache“ für taubstumme potenzielle Handybenutzer angeboten wird. In dieser Sparkasse gibt es keine normalen Schalter oder normale Schlangen zum Anstellen. Es gibt einen Empfangstresen wie im Hotel, und von dort wird man freundlich in die hinteren Gefilde der Bank geleitet. Man fühlt sich etwas komisch dabei, wenn man nur die geschnorrten 10-Pfennig-Stücke wechseln möchte. Aber that’s scheinbar entertainment oder servicetainment oder Erlebnisökonomie. Am besten gefällt die Architektur mit den vielen, spitzwinkligen, hohen Gebäuden und den geradlinigen Straßen und Gässchen den TouristInnen aus Asien. Angeblich sieht es nämlich am „Poplatz“ (Berliner Schnauze) nämlich original aus wie in Singapur. Wer die wonnige Sonne nicht mag, kann am Potsdamer Platz stundenlang im Schatten herumrennen. Er kann in einem der erdgeschossig-dunklen, auf amerikanisch gestylten Cafés sitzen, Dr. Oetker-Backmischung-Muffins essen und die vielen neuen Autos im Halteverbot und die Smarts, die quer in den Lücken parken, beobachten.

Natürlich trifft man am Potsdamer Platz selten BerlinerInnen. Die, die man trifft, arbeiten dort oder in der Nähe oder arbeiten so viel, dass sie Sonntags einkaufen müssen, oder gehen ins Kino oder sind spielsüchtig. Aber wer will sich darüber beschweren? Trifft man Pariser im Centre Pompidu? Trifft man Londoner am Oxford Circus?

Außerdem bietet der Potsdamer Platz viel ehrlichen Konsum zum Abgewöhnen: Wenn alle Konsumtempel einerseits so rührend prollig wären wie die Läden und 80 Prozent der Restaurants dort und andererseits so geschmacklos-modern wie die Gebäude, dann wäre bald Schluss mit der Kapitalismusverehrung. Und insofern ist der Potsdamer Platz sogar systemdestabilisierend.

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