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Blühender Garten

Stockholm ist eine ideale Spielwiese für neue Ideen am Zeitungsmarkt. Nirgendwo sonst werben so vielfältige Projekte um die gleiche Leserschaft

aus StockholmREINHARD WOLFF

Vor Jahren erblickte die U-Bahn-Zeitung Metro in Stockholm das Licht der Welt. Ein ökonomisch so erfolgreiches Objekt – 140 Millionen Kronen Gewinn –, dass es mittlerweile weltweit kopiert worden ist und den Kauf einer Boulevardzeitung überflüssig machen soll. Nun steht in der schwedischen Hauptstadt ein neues Projekt in den Startlöchern, das auch den qualitativ höher stehenden Zeitungen gefährlich werden kann. Im August soll die erste Ausgabe der neuen Gratistageszeitung, Stockholm News, erscheinen.

Schnellere Nachrichten

Deren Konzept entspringt der Erkenntnis, dass der Anteil der „Nachrichtenkäufer“ stetig sinkt. Die für den schwedischen Zeitungsmarkt einst prägenden großen Abendzeitungen haben innerhalb von 10 Jahren mehr als ein Drittel ihrer Auflage verloren. Die landesweit verbreiteten Tageszeitungen im Stile einer FAZ oder Süddeutschen schrumpfen stetig vor sich hin. Allein die Lokalzeitungen haben Auflage und Rendite einigermaßen gehalten. „Für Nachrichten zahlt bald niemand mehr“, so Lars Weiss, ehemals TV-Chefredakteur und nun designierter Chef der Stockholm News.

Die mit rund 200.000 Exemplaren geplante Auflage seines Blattes soll werktäglich ab 14 Uhr in der Stockholmer City verteilt werden. Die HauptstadtbewohnerInnen, die schon frühmorgens ihre Kurznachrichten-Zeitung Metro kostenlos aus dem Ständer genommen haben, können sich dann mit den bis zum Redaktionsschluss um 12 Uhr eingegangenen Nachrichten vertraut machen. Diese Mahlzeit dürfte dann bis zu den Abendnachrichten im Fernsehen vorhalten.

Hohes Niveau als Chance

„Wozu dann noch“, so Lars Weiss, „eine Kaufzeitung?“ Eine berechtigte Frage, wenn Stockholm News tatsächlich hält, was versprochen wird: Substanz. Weiss gibt nämlich dem neuen Projekt selbst nur eine Chance, wenn es gelingt, ein hohes Qualitätsniveau zu halten: „Die Leute werden von der Schwarzweiß-Journalistik – Erfolg, Fiasko, Gewinner, Verlierer – eher abgestoßen. Sie merken, dass diese Bilder nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen.“

Neben Nachrichten sollen daher auch fundierte Analysen und Reportagen ihren Platz in Stockholm News haben. Fragt sich allenfalls, wie das mit den gerade 30 RedakteurInnen geschieht, die ihre Texte direkt in die fertig formatierten Zeitungsseiten eingeben sollen.

Die Großen reagieren

Die großen Qualitätszeitungen sehen jedenfalls Handlungsbedarf. Das konservative Svenska Dagbladet versucht sich mit einer neuen, ambitiösen Wirtschaftsbeilage unentbehrlich zu machen. Die liberale Dagens Nyheter will mit einem ähnlichen Produkt im Herbst nachziehen und zeigt ähnlich wie Svenska Dagbladet eine neu erwachte Vorliebe für Lifestyle- und Servicethemen. Aftonbladet, Schwedens auflagenstärkste Zeitung, hat gerade eine neue tägliche Sportbeilage lanciert. Der im Hauptblatt dadurch frei gewordene Platz wird vorwiegend mit populärwissenschaftlichen Themen, Konsumentenservice, Analysen und Debattenmaterial gefüllt, mit dem man vor allem jüngere LeserInnen zu erreichen gedenkt. Den umgekehrten Weg geht die Konkurrenz bei Expressen, die mit Heim, Garten und Lebenshilfe die ältere Stammleserschaft zumindest halten möchte.

Der Trend geht zum Netz

Für die reine Nachrichtenvermittlung setzen alle Zeitungen ständig immer weniger auf ihre Papier- und immer mehr auf ihre Internet-Seiten – Schweden ist ein Land, in dem mittlerweile mehr als die Hälfte der Bevölkerung täglich online ist. Um die SurferInnen ins Netz zu locken, muss mehr geboten werden als eine ins Internet gestellte Zeitung nebst weiterführender Links. Alle großen Blätter haben mittlerweile eigene Redaktionen für ihre Internetausgaben. Einige haben sich zu regelrechten Portalen entwickelt. Am erfolgreichsten Aftonbladet, das mit seiner Internet-Ausgabe sogar einträglichen Gewinn macht. Neue Konzepte sind also tatsächlich überlebenswichtig, wollen die Tageszeitungen in diesem Mediengedränge überleben.

Neue Pflanze im Garten

Auch dies scheint nämlich noch nicht unmodern geworden zu sein, wie ein weiteres Projekt zeigt, das im Herbst starten soll: Eine Zeitung, die den „freiheitlich grünen bis grün-schwarzen Sektor – schwarz steht dabei für Anarchie“ (Mitinitiator und designierter Kulturredakteur Björn Danielsson) abdecken soll. Schwedens Zeitungsflora, die bislang so etwas wie die taz noch nicht hat, soll mit Stockholms Fria Tidning („Stockholms Freie Zeitung“) eine neue Pflanze bekommen, die sich nicht weniger vorgenommen hat, als die beiden Riesen Dagens Nyheter und Svenska Dagbladet herauszufordern. Sie soll zunächst jeden Samstag erscheinen, hofft aber, bald täglich erscheinen zu können. Sie wird den MitarbeiterInnen gehören und kann nur mit Hilfe staatlicher Pressesubventionen erscheinen.

Expansion als Planziel

Danielsson hat damit kein ideologisches Problem: „Klar sind wir von Staat wie Kapital abhängig. Aber sonst wäre es nicht möglich, ein solches Projekt zu starten.“ Während mit der neuen grün-schwarzen Zeitung eher eine schwedische Lücke geschlossen werden soll, sehen MacherInnen und GeldgeberInnen von Stockholm News ihr Projekt von Anfang an mit deutlicher Publikums-Ausrichtung. Zum einen soll die Redaktion eine Art „Nachrichtenmotor“ sein, mit der auch andere schwedische Medien beliefert werden sollen. Planziel aber ist die schnelle internationale Expansion. Vorstandsvorsitzender Grahl: „Die Plattform, die wir schaffen, wird leicht auf andere Länder und Städte zu übertragen sein.“ Berlin, Hamburg und München dürfen sich schon mal bereit halten.

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