: Kongos stiller Tod
US-Studie: Im Osten Kongos starben seit 1998 1,7 Millionen Menschen an Kämpfen und Kriegsfolgen
BERLIN taz ■ Der Krieg in der Demokratischen Republik Kongo hat möglicherweise weit dramatischere Auswirkungen als bisher bekannt. Eine neue US-Studie kalkuliert, dass seit Beginn des Krieges im August 1998 allein im Osten des Kongo mindestens 1,7 Millionen Menschen aufgrund von Kampfhandlungen oder an Kriegsfolgen gestorben sind. Das sind ein Zwölftel der etwa 20 Millionen Einwohner der fünf östlichen Provinzen des Landes. Umgerechnet bedeutet das 2.500 kriegsbedingte zivile Todesfälle pro Tag.
Die Gesamtzahl von 1,7 Millionen Toten sei „eine sehr konservative Schätzung“, heißt es in der Studie des International Rescue Committee (IRC), das seit 1996 im Osten des Kongo humanitäre Hilfe leistet. Das IRC unternahm in den vergangenen zwei Monaten detaillierte Feldstudien mit Haushaltsbefragungen in fünf Regionen des östlichen Kongo. Die Zahl von 1,7 Millionen Toten ist eine Hochrechnung aus den Ergebnissen dieser Befragungen und beziffert die Todesfälle, die es demzufolge über die normale Sterberate hinaus gegeben hat. 200.000 Tote habe es bei Kampfhandlungen gegeben, der Rest sei auf direkte Kriegsfolgen wie Vertreibung, Seuchenausbreitung und Hunger zurückzuführen. Letztere Todesursache träfe fast ausschließlich Frauen.
„Gewaltsamer und so genannter gewaltloser Tod sind im Osten des Kongo nicht zu trennen“, heißt es. „Die Orte und Zeiten, wo es am meisten Todesfälle durch Infektionskrankheiten gab, waren dieselben wie die, wo es am meisten gewaltsame Todesfälle gab.“ Der Osten des Kongo sei „eine unkontrollierte Brutzone für Seuchen“, und „Vertreibungen und durch bewaffnete Kämpfer verursachtes wirtschaftliches Elend spielen eine direkte oder indirekte Rolle in allen beschriebenen Todesfällen“.
Im Osten des Kongo kämpfen Rebellengruppen, vor allem die von Ruandas Armee unterstützte Kongolesische Sammlung für Demokratie (RCD), gegen eine Vielzahl von Milizen und bewaffneten Gruppen. Beide Seiten sind laut IRC gleichermaßen für Gewalt gegen die Bevölkerung verantwortlich. Humanitäre Hilfe ist, wie Hilfsorganisationen beklagen, in weiten Landesteilen unmöglich. Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef liegt die Zahl der Kriegsvertriebenen im gesamten Land inzwischen bei über einer Million. Unter Kindern sei eine dramatische Ausbreitung von Epidemien zu verzeichnen.
Laut IRC ist sogar zu vermuten, dass im Osten Kongos etwa ein Drittel der Kinder unter zwei Jahren bereits gestorben ist. Die Zahl der Kinder in dieser Altersgruppe sei um 30 bis 40 Prozent zu niedrig.
Die Veröffentlichung der Studie kommt zu einem Zeitpunkt, wo schwere Kämpfe zwischen Ruanda und Uganda die Stadt Kisangani verwüsten, die größte Stadt des östlichen Kongo. Die am Montag ausgebrochenen Gefechte dauerten gestern an. Der Leiter der 25 UN-Beobachter in der Stadt kritisierte die Kämpfe, bei denen auch das UN-Hauptquartier beschossen wurde, als „Völkermord“. Die wenigen Krankenhäuser der Stadt sind voll mit Schwerverletzten. Ärzten zufolge sind 85 Prozent der Opfer Zivilisten und die Hälfte davon Kinder.
DOMINIC JOHNSON
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