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Flieger und Todesfahrer

■ Der letztjährige Redaktionswechsel hat Bremens Literaturzeitschrift „Stint“ gut getan

Vor laufendem Fernseher, auf der Toilette oder heimlich während der Arbeit sollten sich Zeitschriften leicht „verdauen“ lassen. Was aber, wenn es sich bei dieser Zeitschrift um ein Literaturmagazin handelt? Oberflächlichkeit und schnelle Informationen sind da freilich unerwünscht. Doch tiefgreifende Abhandlungen über den Sinn des Lebens sind schon aus Platzgründen auch nicht das Wahre: Schließlich soll es ja noch eine Zeitschrift sein. Die Bremer Zeitschrift für Literatur „Stint“ versucht seit 1987 Literatur „abonnementfähig“ zu machen. Zunächst heißt das: Jungen Autoren eine Chance geben und viele Texte aneinanderklatschen.

Doch diese Zeiten sind nun vorbei. Vor einem Jahr wurde die Redaktion ausgewechselt. Seitdem bemühen sich junge Redakteure um bessere Qualität (nicht mehr zwingend Bremer Autoren), mehr Information (Rezensionen und Interviews), sowie thematische Bindung. Die Texte der neuesten „Stint“-Ausgabe Nr. 26 stehen unter dem Motto „Reisen“. Uwe Herms stellt einen Vielflieger vor, der nach Jahren der Luftsprünge von Kontinent zu Kontinent beschloss, sein Leben zu ändern und nun in Norddeutschland sesshaft geworden ist. Auf sechs Seiten lässt Herms den ehemaligen Piloten ein wenig von seinem Leben erzählen und von einer Unterhaltung, die er einst mit dem Kollegen „Raoul Prinz“ auf einem Zwischenstopp in Dubai geführt hatte. Über den kurzen Plausch jedoch erfährt man eigentlich nicht viel mehr, als dass er in Deutsch geführt wurde. Vielleicht soll sich hinter der scheinbaren Oberflächlichkeit ein besonders tiefer Sinn verbergen. Ohne jeglichen Kommentar, ohne die geringste Hilfestellung aber fühlt man sich da sehr alleingelassen.

Ganz anders Michael Augustin. Dem Rundfunkredakteur fallen vor allem die Reisen ein, die der Mensch zu allerletzt unternimmt: Beispielsweise die des Siegfried Gorler, der mit zweihundert Sachen auf einen Betonpfeiler zurast und kurz vor dem tödlichen Aufprall, „wenn auch nur für die Dauer einer Tausendstelsekunde“ in den Rückspiegel blickt. Es ist eine von sieben echten Augustinschen Miniaturen: Wenige, lange Sätze, die sachlich pointiert einen kleinen Denkanstoß geben.

Mit Interesse liest man Uwe Herms Interview mit Siegfried Lenz über fremde Länder und fremde Sprachen. Lenzens Äußerungen über erzwungene Reisen durch Vertreibung, Sprachheimat oder auch Stefan Heyms misslungenen Versuch, einen Roman in Englisch zu schreiben, sind aufschlussreich und teilweise amüsant. Die rezensierenden Beiträge der „Stint“-Redakteure schließlich bestätigen den Eindruck, dass hier aus dem einstmals pseudointellektuellen Blatt ein sachliches, informatives Magazin für neue Literatur gemacht werden soll.

Johannes Bruggaier

Stint Nr. 26, 15 Mark im Buchhandel erhältlich

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