: Spinozas Viertel
■ Die Komödie Endlos Glücklich lässt einen Namensvetter des Renaissance-Philosophen durchs moderne Israel irren
Vernunft, Mäßigung und die Idee, dass Gott und das Materielle ein und dasselbe sind, mit diesen Postulaten erregte der niederländische Philosoph Baruch de Spinoza im 17. Jahrhunder großes Aufsehen. Wegen ihnen wurde er auch aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen und von der Inquisition bespitzelt. In Igal Bursztyns Film Endlos Glücklich sitzt über drei Jahrhunderte später sein Namensvetter in einem Wohnblock in Tel Aviv und schreibt ein Buch über Leben und Werk des Rationalisten. Vom Dach gegenüber hören zwei Mossad-Agenten mit. In den Wohnungen um Baruch herum spielt sich der meist wenig rationale israelische Alltag samt Fußball-frustrierter Ehefrauen, gestresster Geheimpolizisten, verärgerter Araber, Philosophiestudentinnen und Mittelmeer-Machos ab.
Einem israelischen Ghost Dog gleich lässt Igal Bursztyn Baruch Spinoza durch sein Viertel, seine eigene Biographie und die seines Vorbilds streifen: Entweder stumm und entrückt oder mit einem Spinoza-Zitat auf den Lippen, von allen gegrüßt und konsultiert, aber fröhlich-unbeteiligt und monomanisch. Das Leben dient ihm nur als Anschauungsmaterial für seine Arbeit.
Da verliebt sich eine Komilitonin an der Uni in ihn, verlässt ihn aber bald wieder, weil er ihr zu vergeistigt ist. Die Ehekrise seiner Nachbarn verschärft sich, der Mann bringt sich um. Im Fernsehen wird verkündet, der Messias sei erschienen, der Tote kehrt zurück und die Mossad-Agenten spielen mit den Arabern Backgammon.
Wo die Philosophentexte zitierenden Voice-Overs das Geschehen rationalistisch zu ordnen versuchen, menschelt dagegen der Blick der Kamera um so mehr. Der Wohnblock mit seinen Bewohnern, die zum größten Teil in Jogginghosen essen, wickeln oder putzen, wird fast bemüht als organisch abgebildet und mit Klischeebildern vom prallen Leben gefüllt. Zumindest solange, bis wieder daran erinnert werden muss, dass auch die surrealistische Tradition geeignet ist, Spinozas Rationalismus zu persiflieren: In der Wäsche ihres Mannes findet die Frau des Geheimpolizisten ein Auge, das von einem „unordentlichen Verhör“ übriggeblieben ist, und das sich partout nicht im Klo herunterspülen lassen will.
Dass Spinozas Forderungen nach Vernunft und Mäßigung und die israelische Gesellschaft hier zusammenpassen wie Kopftuch und Kipa, macht primär den Witz des Filmes aus. Zwar drängt er penetrant den schrecklichen Gemeinplatz vom alltäglichen Chaos auf, das der kühlen Vernunft des Renaissance-Mannes Spinoza gegenübersteht. Als ihr eigener Witz funktioniert aber diese einfache modernistische Opposition wohl am besten. Und es scheint, als wolle dieser Film durch seinen Spagat zwischen Eis am Stiel und Life According To Agfa das hierzulande schwach entwickelte Bild vom israelischen Kino mit einem Zwischenton füllen.
Georg F. Harsch
ab heute, 3001, 20.30 UIhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen