: Die soziokulturelle Nacktheit
Licht, Luft, Wasser und gegrillte Haut: Warum zu viel Sonne geistig inaktiv macht und wie aus der vornehmen Blässe die gesunde deutsche Bräune wurde. Zur „Kleinen Kulturgeschichte des Sonnenbadens“ von Simone Tavenrath
Scheint die Sonne, beginnt die Grillsaison. Und zwar für Schweine- und Tofuwürstchen wie für Menschen. Stundenlang liegen leicht geschürzte Sonnenhungrige draußen herum und braten, obwohl seit den 80ern die Gefahren des Sonnenbadens in aller Munde sind und jeder weiß, dass Bräune eigentlich eine Schutzreaktion der Haut auf das Verbrennen durch UV-Strahlung ist. Eine Marburger Studentin hat das Phänomen des Sonnenbadens als Magisterthema gewählt, und ihre gekürzte Arbeit ist jetzt, pünktlich zur Grillsaison, als Buch erschienen. In der „Kleinen Kulturgeschichte des Sonnenbadens“ erzählt Simone Tavenrath von den Anfängen des Kultes: wie im 18. und 19. Jahrhundert die Sonne respektive Luft und Wasser am Strand nur von so genannten „Badeschaluppen“ und „Badekarren“ aus genossen werden durfte, die man ins Meer zog, und davor, natürlich züchtigst bekleidet, nach Männlein und Weiblein getrennt, kurz ein bisschen Wasser trat.
Sie beschreibt die Entstehung der ersten Familienbäder um 1900 und den ersten großen Wandel im Umgang mit der Sonne: Während bis dahin die vornehme Blässe noch ganz klar Standard war, veränderte sich Anfang des letzten Jahrhunderts die Einstellung zu Licht, Luft und Wasser. Die Nacktkulturbewegung entstand, und schon vor dem Ersten Weltkrieg propagierten Vereine mit prima Namen wie die „Wissenschaftliche Nacktloge A.N.N.A.“ oder die „Aristokratische Nudo-Natio-Allianz“ das freie Pendeln der Körperteile an der frischen Luft.
Als Begleiterscheinung dazu änderte sich auch der Umgang mit sonnengebräunter Haut. Sportler und Sportlerinnen, aber vor allem der deutsche, dem nationalsozialistischen Ideal entsprechende Körper sollten sportlich-durchtrainiert, kriegsfit und damit auch „gesund-braun“ sein. In leider auch oft langweiligem, langatmigem und wissenschaftlichem Magisterarbeit-Stil schildert Tavenrath die Entstehung des „Teutonengrills“ in der Nachkriegszeit, als Faulenzen und Herumliegen im Urlaub, möglichst an italienischen oder spanischen Stränden, immer mehr zum Freizeitideal der Wirtschaftswunder-Deutschen wurde. Sie zitiert Adorno, der die gebräunte Haut als „Fetisch“ bezeichnete und treffend feststellte: „Prototyp des abstrakten Charakters der Freizeit ist das Verhalten jener, die sich in der Sonne braun braten lassen, nur um der braunen Hautfarbe willens, und obwohl der Zustand des Dösens in der prallen Sonne keineswegs lustvoll ist, möglicherweise physisch unangenehm, gewiß die Menschen geistig inaktiv macht.“
Der zweite große Teil des sonnendurchfluteten Buchs ist den Nachteilen von Sonnenbaden, Ozonloch und Sonnenmilch gewidmet. Tavenrath beschäftigt sich mit den Sonnengefahren, wie sie im Laufe der Jahrzehnte entdeckt und wie darauf reagiert wurde, von „Gesund durch die Sonne“ zu „Gesund trotz Sonne“. Sie hat im Selbstversuch Solarien in Großstädten und auf dem Land besucht und beschreibt die geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen (natürlich viel technikfixierteren) SonnenbankbetreiberInnen: „Motive und Formen, die etwa an Motorsport oder Raumfahrt gemahnen – Produktbezeichnungen wie ‚Galaxy‘ oder ‚Light Shuttle‘ sind keine Seltenheit –, bestimmen das Design der neuesten technischen Innovationen.“ Ein Fabrikat heißt gar „Formula Uno“, genau das Richtige für den Mallorca-Tan.
Komische, rührende Fotos und Zeichnungen illustrieren das Thema, absurde Comics mit noch absurderen Bildunterschriften aus 50er-Jahre-Benimmbüchern oder Sonnenmilch-Werbung im Wandel der Zeiten. Trotz des typischen Uni-Stils ist die Kulturgeschichte mit ihren vielen soziokulturellen Schlüssen und Querverweisen ein unterhaltsames Buch für unvernünftige Sonnenfreunde, aber vor allem für vornehm-bleiche und sommersprossige Weißhäute, die sich endlich auch mal gebauchpinselt fühlen dürfen.
JENNI ZYLKA
Simone Tavenrath: „So wundervoll sonnengebräunt – Kleine Kulturgeschichte des Sonnenbadens“. Jonas Verlag Berlin, 2000, 128 S., 34 DM
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