DAS HAAGER UNO-TRIBUNAL ÜBERNIMMT DIE RECHTFERTIGUNGEN DER NATO: Fragwürdiger Freispruch
Ein Freispruch mangels Beweisen nach einem Verfahren mit höchst fragwürdiger und lückenhafter Beweiserhebung. In diese Kategorie fällt die Entscheidung des Den Haager UNO-Kriegsverbrechertribunals, keine Ermittlungen gegen die Nato aufzunehmen wegen des letztjährigen Luftkrieges gegen Jugoslawien. Die jetzt veröffentlichte Begründung dieser Anfang Juni verkündeten Entscheidung zeigt, auf welch wackeligen Füßen sie steht. Von einer Absolution für die Kriegführung der Nato, von der ihr Generalsekretär Robertson tönte, kann überhaupt keine Rede sein.
Schwerstes Manko: Die Nato hat jede Antwort auf sämtliche spezifischen Nachfragen des Tribunals ebenso verweigert wie Befragungen der Soldaten und Befehlsgeber. Umkehrt stützen sich aber sämtliche vom Tribunal übernommenen Rechtfertigungen der Bombardierungen ausschließlich auf die Behauptung der Nato, dass diese Ziele militärische Funktion hatten. Chefanklägerin Carla del Ponte hat dem Tribunal mit dieser so fragwürdig begründeten Entscheidung einen Bärendienst erwiesen und seine Glaubwürdigkeit erheblich erschüttert. Der Verdacht, sie habe unter politischem Druck von Nato-Regierungen gehandelt, ist damit nicht widerlegt, sondern eher noch verstärkt.
Zum Zweiten macht die Begründung des Tribunals deutlich, wie unzureichend das humanitäre Völkerrecht in Zeiten moderner Kriegführung ist. Einmal ganz abgesehen davon, dass mit den USA und Frankreich zwei der drei am stärksten an den Luftangriffen auf Jugoslawien beteiligten Staaten wesentliche Bestimmungen dieses Völkerrechts bis heute nicht ratifiziert haben: Fast sämtliche Vorwürfe wegen Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht lassen sich aushebeln mit dem Verweis auf die große Höhe und die extreme Geschwindigkeit, in der die Piloten operierten, um sich selbst vor der gegnerischen Luftabwehr zu schützen. Deswegen waren fast alle unbeabsichtigten Treffer ziviler Ziele bedauerliche, aber eben verzeihliche Fehler. Im Klartext: In Zeiten moderner Kriegführung ist niemand mehr auf seine Verantwortung festzulegen. ANDREAS ZUMACH
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