: File under: Alles im Griff
Minimaler Techno und maximale Musik als Dienstleistung: Das Berliner Elektronik-Duo und Multimedia-Unternehmen Rechenzentrum tritt heute abend im Maria auf
Rechenzentrum ist ein nicht unbedingt amorphes, aber doch recht schwer einzuordnendes Projekt. Und das auf allen möglichen Ebenen. Rechenzentrum ist erstmal keine Band, sondern ein Multimedia-Unternehmen, das sich in immer wieder anderen Formen präsentiert. Zur Zeit als Techno-Act, denn die erste CD ist soeben erschienen. Doch sobald es ein bestimmter Kontext verlangt, kann das Chamäleon Rechenzentrum auch schon wieder als Kunstprojekt auftreten, bei dem die Musik gar keine oder nur eine untergeordenete Rolle spielt. Die mutiple Einsatzmöglichkeit liegt an der Zweiteilung der Aufgaben innerhalb des Projekts. Marc Weiser ist der Audio-Master und Lillevän der Visuals-Composer.
Kommt nun von irgendwoher eine Anfrage nach einem DJ, einem Video-Artist oder beidem zusammen, liefern Rechenzentrum auch einen DJ, einen Video-Artist oder beides zusammen. Denn Rechenzentrum ist ein Dienstleistungsunternehmen. Die Expo 2000 hat angefragt, also hat Rechenzentrum eine Arbeit für den „Roboter Themenpark“ zusammengebastelt, vor kurzem suchte man bei VIVA 2 für das neue Format „2Step“ noch einen VJ, der den DJ-Set von Herbert bebildert, also hat sich Lillevän nochmals an den Schneidetisch gesetzt.
Die Geschichte des Rechenzentrums hat ihren Ursprung in dem Berliner Drum-&-Bass-Kollektiv Elektronauten. Als loser Verbund von etwa zehn Club-Aktivisten haben diese Jahre lang versucht, eine Drum-&-Bass-Party nicht bloß als beliebiges DJ-Set zu gestalten, sondern daraus eine rockende Bühnen-Show werden zu lassen. Da ein MC, dort eine Sängerin, Marc Weiser hinterm DJ-Pult und Lillevän am Video-Projektor. Doch just nach dem Moment, als der erste Elektronauten-Longplayer erschien, stand man plötzlich wieder ohne Plattenvertrag da, und irgendwann bröckelte der Zusammenhalt innerhalb der riesigen Mannschaft. „Es gibt die Elektronauten noch. Doch sind inzwischen nur noch zwei Mitglieder dabei. Was wohl auch besser ist. Als Duo hat man einfach einen besseren Überblick. Zur Zeit haben die Elektronauten sogar einen Clubhit in England“, so Marc Weiser. Auch für Rechenzentrum errechnet er bessere Chancen im Ausland als in Deutschland. „So zwei Drittel verkaufte Platten in anderen Ländern gegenüber einem Drittel hier.“ So ist es eben, wenn man ein Kitty-Yo-Act ist.
Ein extrem technoider Kitty-Yo-Act zu sein, bringt aber nicht nur den Vorteil mit sich, von der englischen Presse wahrgenommen zu werden, sondern auch einige Probleme. Vor allem: Bei Kitty Yo kann man eigentlich gar nicht so viel mit Rechenzentrum anfangen. Ist eben doch Techno, und Kitty Yo ist berühmt für alles mögliche, aber bestimmt nicht für Techno. „Außerdem bin ich ja Booker für das Maria am Ostbahnhof. So denken die Kitty Yos, ein Kontakter wie ich könnte ganz gut die ganze Pressearbeit und so weiter übernehmen. Was natürlich irgendwann zu viel wird“, jammert Weiser.
Doch ein wenig kann man Berlins inzwischen größtes Kleinlabel auch verstehen. Schließlich: Als was genau soll man die Musik von Rechenzentrum eigentlich anpreisen? Auf dem beigelegten Pressetext zur aktuellen CD liest man: „File under: Minimal Techno Maximal Music“, was übersetzt heißt: „File under: Keine Ahnung“. Und da ist was dran.
Vielleicht doch ein wenig zu viele Ideen scheint Marc Weiser verbraten zu haben. Ein Hauch von Pop durchweht die mal sperrige, mal minimale, mal cheasy klingende Elektronik. Doch ein wirklicher roter Faden fehlt. „Ich hatte so um die 40 Tracks auf Halde“, so Marc Weiser, „Kitty Yo wollte für die Platte aber hauptsächlich die poppigen Tracks, also habe ich die zusammengestellt.“ Auch als Track-Lieferant ist Rechenzentrum also ein Dienstleistungsunternehmen. Dabei sind die weniger anheimelnden Tracks eigentlich die besten. So wie etwa „Samurai“, das letzte Stück auf der Platte. Aber daran kann man dann ja vielleicht bei der nächsten ganz gut anknüpfen.
ANDREAS HARTMANN
Rechenzentrum: dito (Kitty Yo/Efa); heute ab 22 Uhr im Maria am Ostbahnhof, Straße der Pariser Kommune 8-10
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