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Glänzend in die Moderne verwickelt

Learning from Fashion: Die amerikanische Künstlerin Sarah Morris schlägt mit ihren lackierten Rasterbildern den Bogen zwischen Mode, Highglossund urbanen Architekturen. Für das Mai-Cover der britischen „Vogue“ hatte sie Kate Moss geschminkt, jetzt werden ihre Arbeiten in Zürich gezeigt

Eine von Mode und Corporations unbeeinträchtigte urbane Existenz ist heute nicht mehr vorstellbar

von ISABELLE GRAW

In letzter Zeit musste die amerikanische Künstlerin Sarah Morris mehr oder weniger aus dem Koffer leben. Ständig pendelte sie zwischen verschiedenen Ausstellungsterminen, ihren beiden Wohnsitzen in London und New York und Berlin hin und her, wo sie bis zum Sommer ein Stipendium der „American Academy“ hat. Die Begeisterung mag auch damit zusammenhängen, dass die Arbeiten den Kriterien des „Modernism“ genügen und die allgegenwärtigen Fashion-Codes verinnerlichen.

Morris ist durch ihre großformatigen Rasterbilder bekannt geworden, die auffällig glänzen und eine satte Farbigkeit besitzen. Dass ihre „saftigen“ Oberflächen ein nahezu haptisches Begehren beim Betrachter auslösen, ist vor allem dem dafür verwendeten Hochglanzlack zuzuschreiben – Hochglanzlack vermag nämlich Licht stark zu reflektieren und verleiht den Bildern jenes für Morris typische „strahlende Aussehen“.

Augenblicklich scheint deshalb ein Großteil der Kunstwelt die Bilder von Morris als begehrenswert zu empfinden – da will ich mich selbst nicht ausschließen. Auf diese positive Einstellung weisen jedenfalls zahlreiche Ausstellungen von Morris hin – kürzlich in der Neuen Galerie in Leipzig und nun im Kunsthaus Zürich. Für die Beliebtheit dieser Bilder spricht auch die Tatsache, dass Sammler angeblich schon mal auf Wartelisten vertröstet werden. Hinzu kommt, dass Morris von zwei potenten Galeristen – in London von Jay Jopling und in Berlin von Max Hetzler – vertreten wird, was die aktuelle Konjunktur ihrer Bilder natürlich begünstigt.

Mein Vorschlag, diese Bilder in Beziehung zu der von Roland Barthes so genannten „Sprache der Mode“ zu setzen, mag zunächst etwas abwegig erscheinen. Schließlich handelt es sich bei ihr um Variationen des Rasters – wenn man einmal von den früheren Sprachbildern oder den Schuh- und Beinmotiven absieht. Das Raster ist eine Struktur, die die Kunstgeschichte zum ultimativen Merkmal der Moderne erklärte – es gilt als untrügliches Zeichen für Autonomie oder Selbstbezüglichkeit – und dürfte sich von daher auf nichts, schon gar nicht auf Mode, beziehen. Nun handelt es sich aber bei Morris um einen Typus des Rasterbildes, wie man ihn bereits aus den Achtzigerjahren, beispielsweise von Peter Halley kennt: Raster, die nicht etwa auf Autonomie, sondern auf Referenzialität setzen und ihre Bezüge in Form von Titeln oder schriftlichen Hinweisen des Künstlers gleich mitliefern. Tatsächlich verweist jedes Bild von Morris schon auf der Ebene des Titels auf das ihm zugrunde liegende Gebäude: Bürohäuser („Midtown-Alliance Capital“), gläserne Fassaden von Großkonzernen („Condé Nast“) oder architektonische Meilensteine wie das Seagrambuilding in New York, sowie Luxushotels („The Luxor“) in Las Vegas.

Während Halley jedoch die Idee des Rasters in den Vordergrund rückte, geht Morris den umgekehrten Weg: Das Raster spielt hier eine eher untergeordnete Rolle, weil die urbanen Impressionen ganz offensichtlich den Ton angeben. Es geht um den Versuch, eine Faszination zu transportieren und in eine überzeugende malerische Form zu bringen. Entscheidender als das „Raster“ sind vielmehr die in diesen Bildern aufscheinenden Obsessionen, etwa für spiegelnde Oberflächen.

Am deutlichsten zeigt sich Morris’ Begeisterung für gläserne Fassaden und leuchtende, schimmernde Billboards in ihren Filmen „Midtown“ und „AM/PM“. Geradezu didaktisch bringen sie eine ästhetische Programmatik auf den Punkt, die ich mit „glitzy“, „halbseiden“ oder „neureich“ umschreiben würde. Das Pendant in der Modewelt wäre wohl Versace. Auch die Kameraführung in „Midtown“ weist Parallelen zu der ihren Gegenstand „umschmeichelnden“ Modefotografie auf. Zumal die von Morris favorisierten Gebäude förmlich gestreichelt werden – an ihnen entlangfahrend bewirkt die Kamera ihre Erotisierung.

Bezeichnenderweise finden sich bei Morris keine Anzeichen dafür, dass irgendwelche Einwände gegen die Macht der Großkonzerne oder die der Mode erhoben würden. Es fällt auch schwer, die sonst immer leicht zu habende Ambivalenz in dieses Projekt hineinzuprojizieren. Das Projekt von Morris basiert vielmehr auf der Prämisse, dass eine von Corporations und Mode unbeeinträchtigte urbane Existenz heute kaum vorstellbar ist. Dies ist eine in der Tat neue Situation, und es lohnt sich, sie auszudifferenzieren und beispielsweise zu demonstrieren, wie die eigenen ästhetischen Vorlieben von externen Instanzen durchdrungen werden. Mit anderen Worten: Faszination und Analyse müssen sich nicht gegenseitig ausschließen.

Anhand der Farben in ihren Bildern lässt sich besonders gut zeigen, wie das Spektrum der aktuellen Modefarben in sie einbricht. Vergleicht man die von Morris produzierten fotografischen Vorlagen mit ihrer malerischen Umsetzung, dann fällt eine signifikante Abweichung ins Auge: Die Mode fließt in ihren aktuellen Farben – Violett, Türkis, diverse Grüntöne – in die Interpretation ein. Vor allem auf den neueren Arbeiten bildet das Farbspektrum Schnittmengen mit dem der Sommersaison 2000. So lassen sich auch hier persönliche Vorlieben und Fashion-Konjunkturen kaum entwirren.

Mode ist ein omnipräsentes Phänomen: Als Morris das Cover der britischen Vogue für die diesjährige Maiausgabe konzipierte, schien ihre Arbeit zu sich selbst gekommen zu sein. Morris stylte und fotografierte Kate Moss – den unbestrittenen Star der britischen Modewelt – und trieb ihre ästhetischen Prinzipien bei dieser Gelegenheit auf die Spitze. Jedes Auge von Moss war jeweils anders stark und mit unterschiedlichen Farben – türkis, lila, gelb – geschminkt. Angeblich diente ein Plattencover von Roxy Music als Vorbild. Interessanterweise setzte sich hier der Glanz, den ihre gemalten Bilder kultivieren, im Cover fort, wobei dieser Glanz natürlich auch ein Mittel ist, die Bilder frisch und neu erscheinen zu lassen – ein Eindruck, den die jeweils neueste Mode auch zu erwecken sucht.

Die Lippen von Kate Moss waren mit glänzendem Lipgloss bedeckt, und auch ihr Gesicht und ihr Körper schienen zu schimmern, wozu die Brillantenkette nicht unerheblich beitrug. Den Höhepunkt dieser fast schon klischeehaften Erotisierung bildete die Entscheidung von Morris, Moss an einem Strohhalm saugen zu lassen. Es fällt gar nicht so leicht, dieses Cover im herkömmlichen Sinne zu kritisieren – es sei denn, man würde die fotografischen Konventionen von Modezeitschriften, ihr Kokettieren mit Pornografie generell in Frage stellen. Setzt man diese Bedingungen jedoch als gegeben voraus, dann muss man zumindest einräumen, dass dieses Cover im Kontext von Modezeitschriften und im Rahmen des Projekts Morris überzeugend funktioniert. Im Übrigen hat Morris auch dieses Coverfoto in ein Porträt übersetzt, auf dem das Gesicht vollständig verrastert und in Pixelstrukturen aufgelöst ist.

Woran liegt es, dass mich diese Porträtbilder weniger überzeugen als die Arbeiten, die sich der Architektur widmen? Vielleicht hat dies damit zu tun, dass die Porträts flacher wirken und keine diagonalen Strukturen aufweisen. Solche diagonalen Achsen brechen nämlich die angebliche Flachheit des Rasters auf und erzeugen eine überraschende Tiefe. Bridget Riley hat sich in den Achtzigerjahren dieses künstlerischen Verfahrens bedient, und ihr Spätwerk schwingt in dem von Morris mit. Wer Rasterstrukturen benutzt, wird letztlich doch von der Geschichte der formalistischen Malerei heimgesucht. Nur hat die Attraktivität des Rasters für Künstlerinnen wie Agnes Martin oder Bridget Riley immer auch in seiner angeblichen Unverfänglichkeit und Neutralität gelegen. Sarah Morris hingegen ist heute mit einer anderen Situation konfrontiert, und deshalb können ihre Bilder einem gewissen Maß an Reduktionismus sogar Vorschub leisten. Schließlich legen sie es förmlich darauf an, auf bestimmte Bezüge festgeschrieben zu werden, zumal Morris keinen Hehl aus ihrer Faszination am Objekt macht.

Dies heißt jedoch nicht, dass nicht auch malerischen Gesichtspunkten Rechnung getragen würde – man denke nur an die einzelnen Streifen, die wie ausgeschnitten wirken, was sich einer Abklebetechnik verdankt, die Morris entwickelte. So gesehen wird auch auf der Ebene von Malerei der Standard der von Morris so genannten „Modern Worlds“ gehalten. Angesichts der eigenen Verwickeltheit in diese „Modern Worlds“ wurde eine visuelle Sprache entwickelt, die dem Original in nichts nachsteht – trotz oder gerade wegen der vermeintlichen Überholtheit ihres Mediums.

Bis 13. 8., Kunsthalle Zürich

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