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Pflichtversessene Deutsche

DIE ZUKUNFT DER BUNDESWEHR (4): Da die Wehrpflichtarmee viele Bürger einbindet, funktioniert sie als demokratische Legitimation für militärische Interventionen. Die Moral bleibt auf der Strecke

Eine Verpflichtung zu militärischen Einsätzen besteht nur innerhalb der UNO

von HANS ARNOLD

Ein Blick auf die künftig anzunehmenden Bundeswehreinsätze und auf die Militärpolitik unserer Partner und Verbündeten zeigt, dass alles dafür spricht, die Bundeswehr von der Wehrpflichtarmee zur Berufsarmee umzurüsten. Die Anhänger der Wehrpflicht begegnen dieser Erkenntnis vorwiegend mit funktionalistischen Argumenten: Sie wollen angeblich den Zivildienst retten, um das Gesundheitssystem nicht zu gefährden, oder sie wollen Bundeswehrstandorte bewahren, um Arbeitsplätze und damit Wählerstimmen zu sichern.

Zudem sei für die militärische Sicherheitsvorsorge, sagen sie, der schnelle Aufwuchs zu einer Streitmacht von mehreren hunderttausend Mann erforderlich, der nur mit einer Wehrpflichtarmee möglich sei. Das würde stimmen, wenn der Kalte Krieg nicht seit zehn Jahren zu Ende und Deutschland nicht ausschließlich „von Freunden umzingelt“ (Volker Rühe) wäre. Und wenn bei der kollektiven militärischen Sicherheitsvorsorge für die Bürger nicht die gleiche Sparsamkeit zu gelten hätte, wie sie gegenüber den Bürgern bei ihrer individuellen Sicherheitsvorsorge für Alter und Krankheit praktiziert wird.

Wehrpflichtbefürworter glauben: Um die Qualität der Berufssoldaten auf Dauer zu bewahren, müsse man aus dem Bestand der Wehrpflichtigen auswählen können. Das ist militärisch sicher richtig, kann aber wohl kaum rechtfertigen, dass dafür allen Bürgern die Pflicht auferlegt wird, das Soldatenhandwerk zu erlernen, also das Töten von Menschen und das Zerstören von Sachen. Und dies in einem Land, in dem die Demokratie zwar dauernd beschworen wird, aber kein Mensch auf den Gedanken käme, den Bürgern eine Wahlpflicht zuzumuten.

Außerdem meinen die Befürworter, eine Berufsarmee sei teurer als eine Wehrpflichtarmee. Dies ist unter anderem durch eine Analyse der Universität der Bundeswehr in München widerlegt und könnte ohnehin nur angenommen werden, wenn man den Wert des Ausbildungs-, Arbeits- und Verdienstausfalls der wehrdienenden Bürger mit Null ansetzt.

Das eigentliche Motiv für den Erhalt der Wehrpflicht wird freilich erst durch die ganz spezifisch deutschen Argumente deutlich, nur mit der Wehrpflicht könne die Bundeswehr in der Gesellschaft verankert werden und nur mit der Wehrpflicht könne Deutschland seine Bündnispflicht erfüllen. Beide Argumente zeigen, dass der Bundeswehr eine Tradition, wie sie für die Armeen in unseren Partnerstaaten selbstverständlich ist, fehlt. Die deutsche Armee ist ausschließlich ein Produkt des Kalten Krieges und entstand unter seinen Zwängen mit einem Offizierskorps, das durch die großdeutsche Wehrmacht und ihren Eroberungsauftrag geprägt war und seine Vergangenheit bestenfalls verdrängen oder anonymisieren konnte. Erst nach dem Ausscheiden dieser Gründergeneration wurden die Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944 fester Teil der Bundeswehrtradition, und erst in den letzten Jahren wurde es sogar möglich, nach Kriegsverbrechern des Zweiten Weltkriegs benannte Bundeswehrkasernen umzubenennen.

Die traditionelle Verwurzelung der Bundeswehr ist somit kaum älter als sie selbst. Dieser spezifisch deutsche Mangel an gesellschaftlich sichernder Tradition führte nicht nur zu dem Bedürfnis, der Bundeswehr dauerhafte Akzeptanz in der Gesellschaft durch besonders betonte „gesellschaftliche Verankerung“ zu sichern, sondern auch zu der gesellschaftlich und politisch eigenartigen Überzeugung, dass dies nur mit einer Wehrpflicht gehe.

Vergleichbares gilt für den Auftrag der Bundeswehr. Sie war im Kalten Krieg eine fremdbestimmte Armee aus „Bürgern in Uniform“, die in ihr dienten, um Volk und Vaterland zu schützen. Der Auftrag jedoch, dem sich die Bundeswehr heute stellen muss, ist seit kurzem neu formuliert: Sie wirkt an politisch begründeten militärischen Interventionen mit – Interventionen, bei denen sicher keine Bürger in Uniform gefragt sind, sondern voll ausgebildete Soldaten, die ihr Handwerk aus eigenem Entschluss ausüben wollen.

Die Bundeswehrist ausschließlichein Produkt desKalten Krieges

Noch bedeutsamer aber ist, dass die Regierung als Grundlage für solche Bundeswehreinsätze (quasi in Fortführung der früheren Fremdbestimmtheit) eine zwingende deutsche Bündnispflicht in der Nato postuliert. Das ist jedoch falsch. Eine Pflicht zur Mitwirkung an solchen militärischen Aktionen besteht für Deutschland völkerrechtlich verbindlich nur innerhalb der (von der deutschen Außenpolitik vernachlässigten) UNO.

Die Nato ist unverändert ein ausschließlich territorial definiertes Verteidigungsbündnis. Denn ihre neue Kriegsführungsstrategie wurde nicht in den Nato-Vertrag aufgenommen, da man befürchtete, dass eine solche Vertragsänderung nicht in allen Nato-Staaten ratifiziert würde. Daher war der Kosovo-krieg kein auf Grund vertraglicher Pflicht geführter Krieg der Nato. Er war ein von 19 Staaten außerhalb der UNO beschlossener und geführter Krieg.

Damit diese Art der Militärpolitik weiter betrieben werden kann, braucht man die Wehrpflicht. Die Notwendigkeit, jeden der neuen Bundeswehreinsätze mangels einer Bündnispflicht immer wieder neu durch eine deutsche politische Entscheidung zu begründen, die schwache traditionelle Verwurzelung und die aus beiden Schwächen entstandene Sorge um die ständige und uneingeschränkte Funktionsfähigkeit der Bundeswehr – das sind die eigentlichen Gründe für die Fortführung der Wehrpflicht. Denn eine Berufsarmee ist ein Instrument der Politik, wie viele andere Instrumente auch. Es kann von Regierung und Parlament je nach politischer Beurteilung und Überzeugung verändert, verkleinert, vergrößert oder auch abgeschafft werden. Eine Wehrpflichtarmee und ihre Verwendung hingegen erscheinen durch das sie tragende hohe Gut der allgemeinen Bürgerpflicht zum Waffendienst von vornherein (ähnlich wie das staatliche Handeln auf der Grundlage der Steuerpflicht) als Teil des Staates als solchem. Die neuen Bundeswehreinsätze begründen sich so – gewissermaßen außerhalb des „Parteienstreits“ – aus sich selbst.

Mit einem solchen Verständnis von der Bundeswehr und mit einer Außenpolitik, in der im Bedarfsfalle beliebige internationale Vereinbarungen als sakrosankte Bündnispflichten dargestellt werden, vermitteln sich die Bundeswehreinsätze den Bürgern als eine unmittelbar grundgesetzlich abgesicherte und historisch, politisch und moralisch nicht mehr näher zu hinterfragende deutsche Selbstverständlichkeit. Und dies ist von manchen Anhängern der Wehrpflicht offenkundig auch so gewollt. Die Begleitung des Kosovokrieges durch den Bundestag und die nonchalante Art, mit der dieser Anfang Juni das deutsche Kosovo-Mandat verlängert hat, zeigten, wie weit diese Wahrnehmung bereits verbreitet ist.

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