IM SCHEINBAR BRAVEN NORDKOREA IST DIE REVOLUTION NÄHER DENN JE: Gegen die Großen
Da standen sie auf den Bürgersteigen von Pjöngjang und wedelten mit roten Papierblumen: Nie zuvor waren so viele Nordkoreaner auf westlichen Bildschirmen zu sehen. Doch kaum einer bemerkte es. Beim Kim-Kim-Gipfel hefteten sich naturgemäß alle Blicke auf die beiden Führer. Die Augen der Welt verfehlten somit den Hauptakteur des koreanischen Dramas. Denn wer versteckte sich da hinter den Papierblumen? Waren es nur gleichgeschaltete Massen, die ihrem Diktator zujubelten? So zumindest klingt es in den westlichen Medien. Dabei scheint die Revolution näher denn je.
Noch vor dreißig Jahren lag Nordkorea gleichauf mit der wirtschafltichen Entwicklung im Süden. Jeder Vater und erst recht jeder Großvater kennt den Niedergang des einst so erfolgreichen Autarkiemodells. Sie haben ihren Kindern längst erzählt, dass Hungersnöte kein Normalzustand sind. Zudem sind die Koreaner eine stolze Kulturnation, die zwischen China und Japan stets ihren Weg ging. Man kann sich auf sie als eigenständigen historischen Faktor verlassen, auch wenn dies in der internationalen Diplomatie nicht vorgesehen ist.
Es ist das Drama des Gipfels, dass die Nordkoreaner dort keine Stimme haben. Sie werden wedervon Kim Jong Il vertreten, der sein Regime retten will, noch vom südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung, der den Reichtum seines Landes bewahren möchte. Erst recht werden die Nordkoreaner von den vier Großmächten USA, Russland, China und Japan ignoriert, die durch eine langsame Entwicklung in Korea ihren Einfluss dort konsolidieren wollen. Also redet niemand von Revolution – doch das macht sie nicht unwahrscheinlicher.
Der Vergleich des Koreagipfels mit dem ersten Treffen zwischen Brandt und Stoph ist zynisch – sollen die Nordkoreaner noch zwanzig Jahre hungern, bis ihnen ein asiatischer Gorbatschow die Freiheit schenkt? Nein, der Gipfel von Pjöngjang und die Euphorie in Nord und Süd werden den koreanischen Nationalismus wieder erwecken – und damit ein Volk, das so denkt, wie es früher Kriege führte und heute Fußball spielt: mit aller Kraft gegen die Großen. GEORG BLUME
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