Plötzlich und unverdient wieder sexy

Der Rock-Soundtrack für die Weltrevolution durch freie Liebe: The Make Up spielen heute Abend im Knaack

Es ist Rock. So viel ist schon mal sicher. Ab hier aber wird es schon kompliziert. The Make Up haben es geschafft, dass über sie gesprochen wird wie über keine andere Rockband zurzeit. Plötzlich steht nicht mehr die Frage im Raum, ob Rock überhaupt noch irgendwie von Belang ist. Plötzlich ist Rock wieder richtig wichtig, plötzlich kann Rock wieder etwas bewegen – und wenn es nur dein Arsch ist. Plötzlich ist Rock wieder cool. Ja, Rock wird mit Make Up plötzlich und unverdient wieder sexy.

Obwohl oder gerade weil sie den entgegengesetzten Weg gehen, den momentan diese ganzen Kapellen mit den endlosen Namen beschreiten. Wo Queens of the Stone Age oder . . . And You Will Know Us By The Trail of Dead sich in einem langwierigen Auf und Ab ergehen, kommen The Make Up schnell zur Sache. So schnell, dass sie ihre von Sly Stone geklauten Funk-Riffs hinschludern und sie zu Trash verkommen lassen, so schnell, dass das eigentlich viel zu dünne Stimmchen von Sänger Ian Svenonius mit dem Kreischen nicht mehr nachkommt. Seltsam unfertig klingen ihre Songs, während sie doch wie die Hölle rocken.

Alles ist wie unterbelichtet, weniger ein wirklich ausformulierter Sound als eher nur eine unbestimmte, richtungslose, aber dafür umso kraftvollere Ahnung von Größe und Gewalt und Leidenschaft. So wird bei ihnen sogar die zu Tode gecoverte, vollkommen ausgelutschte Ballade „Hey Joe“ wieder zum glamourösen Ereignis.

Man könnte also sagen, dass sie Skizzen oder auch Entwürfe von Schweinerock zeichnen. Dies ist die Blaupause, wie die Welt verändert werden soll, der Soundtrack zur Revolution: Ihre Musik soll nicht mehr als Gefühle transportieren, soll Sex sein, denn Sex befreit, und befreite Menschen zerstören den Repressionsapparat – so ungefähr denken sie sich das jedenfalls. Ihren Platten liegen regelmäßig Pamphlete bei, und Interviews mit Svenonius ähneln eher politökonomischen Vorlesungen. Da werden die Weltverschwörungstheorien aus dem autonomen Lager rekapituliert, wird die US-Regierung prinzipiell für alles Böse verantwortlich gemacht und außerdem behauptet, der CIA habe Cool Jazz, die Beatgeneration und Elvis Presley bezahlt, um vom US-Imperialismus abzulenken.

In ihren Texten allerdings geht es fast ausschließlich um Liebe, Sex und Außerirdische. All das, die offensichtlichen Differenzen zwischen Sound und Ideologie, so lässt Svenonius verlauten, sollen der Irritation dienen. Vor allem jenes konservative Punkrock-Publikum soll verwirrt werden, das ihnen schon deshalb zugeneigt ist, weil sie aus dem Fugazi-Umfeld in Washington, D. C. stammen, früher auf dem Label der Straight-Edge-Propheten veröffentlichten und von deren Schlagzeuger Brenan Canty produziert werden. All das ist ja gut und schön. Nur: Das geht so jetzt schon seit Jahren, und die Weltrevolution ist immer noch nicht ausgebrochen. Schon The Nation of Ulysses, aus denen Make Up dereinst hervorgingen, bastelten am Umsturz durch Rock, und schon damals wollte es nicht funktionieren. Was bleibt, ist die Hoffnung; die stirbt bekanntlich nie. Allerdings: Solange dabei solche Musik rumkommt, kann sie ganz gemütlich in Ruhe alt werden.

THOMAS WINKLER

Heute ab 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Str. 224, Prenzlauer Berg