piwik no script img

Das große Bratzen und Brötzen

■ Heute Abend spielt Caspar Brötzmann auf der MS Stubnitz

Früher küsste eine Muse namens Massaker den Gitarristen Caspar Brötzmann: Den Geist der Musik wollte er lauthals freischaufeln von den Rockstrukturen des 3-Minuten-Songs, um statt dessen oder darüber hinaus weiter gefasste kompositorische Vorgaben zu entwickeln, die Wohlmeinende vielleicht als „die andere Musik“ bezeichnen würden. Noise-Jazz-Noise, die weite Welt gemessen am Gitarrenhals, und am Ende redete sogar Brötzmann selbst über seine kompositorische Nähe zu den Großen des Jazz und erkannte in Pharao Sanders und John Coltrane Vertraute.

„Mute Massaker“ hieß das abschließende Album aus dem vergangenen Jahr, auf dem Brötzmann samt Massaker Songs präsentierte, die einen wie eine voll aufgedrehte Endstufe der selbstbezogenen Gitarrendröhnung gegen die Wand drückten. Die wildesten Distortion-Soli seit den Trash-Titanen Slayer. Das meinen zumindest Leute, für die Metal von Haus aus einer energetischen Eruption gleichkommt.

Heute Abend läßt Brötzmann, der sich trotz seiner zwei Meter Körpergröße eher wie eine Birke denn eine Eiche im Wind wiegt, mit einer abenteuerlich anmutenden Besetzung die Bretter des Kunst-Frachtschiffes MS Stubnitz erbeben. Auf Deck 1 also Brötzmann, wie gewohnt an der Gitarre, dazu gesellt sich der ehemalige Loft-Szenerist Billy Bang aus New York, um das wirklich Letzte aus dem kleinen Resonanzkörper seiner Violine herauszuholen. John Dobie lässt sonst bei den eher unbekannten Londonern Sonicphonics das Plektrum über die sechs Saiten sausen, und Michael Werthmüller sahen Fans vom Fach erst kürzlich als grollenden Drummer der Kunstgrind-Legende Alboth Ernst machen. Die treten danach sogar noch einmal auf Deck 2 auf.

Die lange Nacht der Improvisation hingegen eröffnet das langjährige Kompositions-Kombinat Zimbo. Seit gut neun Jahren wühlt sich die mehrfach umbesetzte Band durch die Jahrzehnte, um sich nun als frisches Trio und mit neuen Songs in einen Psychedelic-, Latin- und Wortschleifen-Marathon zu stürzen. Oliver Rohlf

heute, MS Stubnitz, Überseebrücke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen