piwik no script img

„Amerika gab Überlebensmut“

 ■ Interview mit einem polnischen Ehepaar über die Plackerei bei einem Bauern in Bremen

Wladislaw Florek und seine Frau Irena gehören zur Gruppe polnischer ehemaliger ZwangsarbeiterInnen, die Bremen zurzeit besuchen. Beide arbeiteten als Minderjährige in der Landwirtschaft. Was die beiden heute über 70-Jährigen in Deutschland erlebten, berichtet Wladislaw Florek, den die deutschen Besatzer im Januar 1940 nach Bremerhaven deportierten.

taz: Wie sah Ihr erstes Erlebnis mit deutschen Landwirten aus?

Wladislaw Florek: Nach der Untersuchung und Desinfektion kamen wir in eine große Halle in Bremerhaven. Da standen die Bauern, die uns befühlten und abschätzten, ob wir wohl stark sind und viel arbeiten können. Ich war klein und schmächtig, ich kam zu einem sehr strengen Nazi-Bauern nach Dorum. Disziplin stand da über allem. Wenn ich einen anderen polnischen Freund besuchen wollte, musste ich genau sagen, wohin ich ging. Zweimal kam ich zu spät zurück. Da kriegte ich mit dem Gummiknüppel. Der Bauer war jähzornig. Es gab viel Schläge. Zweieinhalb Jahre habe ich das ausgehalten, dann versuchte ich nach Polen zu fliehen. Ein Mann aus dem Dorf hatte mir die Fahrkarte besorgt. Aber ich wurde im Zug bei Hannover geschnappt.

Haben Sie gewusst, dass Sie mit Flucht Ihr Leben riskieren?

Ja.

Mich steckten die Nazis danach erst ins Gefängnis, dann drei Monate lang in ein Arbeits- und Erziehungslager in Bremen-Farge. Da haben wir schwer gearbeitet, erst ein großes Magazin gebaut, dann haben wir es mit Erde getarnt und eine Kleinbahn gebaut. Jeden Morgen sind wir in Holzschuhen zwei Kilometer zur Baustelle gegangen. Was mich betrifft, ich wurde da nicht geschlagen. Ich hatte auch keine Angst. Aber einmal, als ein Russe geflohen ist, mussten wir den ganzen Tag zur Strafe exerzieren. Bis zum Umfallen. Da habe ich mir selbst die Nase blutig geschlagen, weil ich nicht mehr konnte. Aber ich musste weiterlaufen.

In diesem Lager erlebte ich auch meinen wohl glücklichsten Moment in Deutschland - als ein SS-Mann auf mich schoss, mich aber verfehlte. Ich war vom zivilen Bauleiter wohin geschickt worden, aber der SS-Mann hatte das als Fluchtversuch gedeutet.

Nach dem Lager mussten Sie zurück zum Bauern?

Ja. Ich kam nach Schiffdorf bei Bremerhaven. Ein Jahr lange ging das ohne große Zwischenfälle. Dann bin ich bei der Arbeit im Stall mit der Schippe abgerutscht - dem Ochsen ins Bein. Der konnte nicht mehr stehen. Die Polizei kam, und dann hieß es, ich sei schuld. Dabei wollten meine Schwestern und ich, wir waren beim selben Bauern, 300 Mark für den Ochsen zahlen, damit mir nichts passiert. Wir bekamen ja jeder 25 Mark im Monat. Die Gestapo steckte mich dann aber wieder ins Arbeitslager. Da habe ich meine drei Finger an der linken Hand verloren. Zerquetscht zwischen zwei Loren.

In Deutschland wird oft gesagt, den Zwangsarbeitern in der Landwirtschaft sei es nicht so schlecht gegangen.

Wir haben jeden Tag schwer gearbeitet. Es gab keinen Feierabend - und auch keinen Sonntag. Aber ich jedenfalls hatte genug zu essen. Und meiner späteren Frau, die auch hierher verschleppt war, ging es später auch besser. Anfangs musste sie sehr schwer arbeiten, bekam Blutsturz und Frauenprobleme. Dann ist sie zum Bauernführer gelaufen und hat gesagt, sie geht lieber ins Lager als zum Bauern zurück. Der Bauer bekam dann einen gefangenen Franzosen, weil alle merkten, dass Irena mit ihren 15 Jahren wie ein erwachsener Mann hatte arbeiten müssen. Der Bürgermeister hat ihr da geholfen.

Haben Sie geglaubt, je nach Polen zurückzukommen?

Ja. Oder nach Amerika. Da hatte ich Verwandte. Das gab mir Überlebensmut.

Wie war Ihre Rückkehr nach Polen?

Meine Frau und ich haben noch in Deutschland geheiratet. Als wir 1946 nach Polen zurückkamen, hielt die politische Polizei uns vor, wir hätten mit den Deutschen zusammengearbeitet. Fragen: Eva Rhode

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen