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Wie viel Kanzlerbahn braucht die Hauptstadt?

Die Argumente im Überblick: Für Streit sorgen vor allem die Finanzierung, der verkehrliche Nutzen sowie die Großbaustellen der U-Bahn-Linie 5

Seit es die ersten Pläne gibt, ist sie umstritten – die Verlängerung der U-Bahn-Linie 5 vom Alexanderplatz zum künftigen zentralen Bahnhof Lehrter Bahnhof. Die Linie soll insgesamt 1,3 Milliarden Mark kosten und spätestens mit der Fertigstellung des Lehrter Bahnhofs 2006 betriebsbereit sein. Das hoffen die Befürworter, allen voran der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU). Unterstützt wird Diepgen von großen Teilen der CDU-Fraktion, von Bundesbehörden, der BVG und der Industrie- und Handelskammer. Auf der anderen Seite die Gegner: Verkehrssenator Peter Strieder (SPD), Finanzsenator Peter Kurth (CDU), die SPD-Fraktion, die Opposition, Bürgerinitiativen und die Geschäftsleute an der Friedrichstraße, die Beeinträchtigungen durch Bauarbeiten befürchten. Umstritten sind vor allem die Sinnhaftigkeit der verbauten Mittel, die Finanzierung, der verkehrliche Bedarf sowie die Einschränkungen durch die Baustellen, vor allem „Unter den Linden“.

Bereits verbaute Mittel: Die U-Bahn ist im Rohbau bereits zur Hälfte fertig gestellt, argumentieren die Befürworter. Für das Stück vom Lehrter Bahnhof bis zum Pariser Platz sind schon 344 Millionen Mark verbaut worden, 136 Millionen davon hat der Bund im Rahmen des Hauptstadtvertrages zugeschossen. Sollte das Projekt jetzt gestoppt oder zeitlich gestreckt werden, könnte der Bund das Geld zurückfordern.

Auch für die Gegner sind mögliche Rückzahlungen an den Bund ein großes Problem: Sie wollen indes beim Bund Gesprächsbereitschaft über einen möglichen Verzicht ausgemacht haben. Das Geld sei zudem nicht in den Sand gesetzt, da die U-Bahn später gebaut werden könne. Dem halten die Befürworter entgegen, dass der Planfeststellungsbeschluss in fünf Jahren hinfällig wird.

Weitere Finanzierung: Der Weiterbau wird aus verschiedenen Geldtöpfen bezahlt. Die Befürworter führen an, dass Berlin aus eigenen Haushaltsmitteln über mehrere Jahre verteilt lediglich rund 90 Millionen Mark aufbringen müsste – das große Infrastrukturprojekt ist mithin fast geschenkt. Die restlichen Mittel kommen vom Bund: 180 Millionen über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG), 224 Millionen sind Regionalisierungsmittel, rund 146 Millionen Haupstadtmittel. Letztere gingen Berlin bei einem Projektverzicht gänzlich verloren.

Das räumen auch die Gegner ein. Sie verweisen indes darauf, dass die GVFG- und Regionalisierungsmittel auf andere Projekte umgeschichtet werden könnten. Die Verkehrsverwaltung schlägt für 2001 unter anderem die Straßenbahn-Grunderneuerung und die Tramanbindung des Wissenschaftsstandortes Adlershof vor. Die dafür vorgesehenen Mittel nach dem Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost – rund 70 Millionen Mark – stünden 2001 dem Investitionshaushalt zur Verfügung.

Verkehrlicher Bedarf: Beide Seiten spielen – wie immer, wenn es um viel Geld geht – mit verschiedenen Zahlen. Die BVG erwartet täglich 140.000 Fahrgäste auf der U5. Die künftige Linie sei eigenwirtschaftlich, das heißt profitabel. Zudem reiche es nicht, den Lehrter Bahnhof, der fast nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sein wird, nur mit S-Bahn und Straßenbahn anzubinden. Der anvisierte modal split (80 Prozent öffentlicher Verkehr und 20 Prozent motorisierter Individualverkehr in der Innenstadt) sei durch die U5 besser zu erreichen, da der Gesamtverkehr besser verknüpft würde. Zudem gäbe es ein Nachfrage-Wachstum, vor allem durch Touristen.

Auch die meisten Gegner verweisen darauf, dass das Projekt nicht sinnlos sei. „Die U5 ist ein Sahnehäubchen, wir haben in der Stadt aber nicht einmal den Kuchen“, sagt Strieders Sprecherin Petra Reetz. Das Geld könne sinnvoller ausgegeben werden. Reetz rechnet mit nur 65.000 Fahrgästen täglich. Zudem führen die Gegner an, dass bis zu 75 Prozent der Fahrgäste von Parallellinien wie S-Bahn, U2 und Bus abgezogen würden. Außerdem seien die Bedarfsprognosen, die zu Beginn der 90er-Jahre erstellt wurden, überholt. Berlin habe seither an Bevölkerung verloren, in Mitte seien weniger Arbeitsplätze als erwartet entstanden. Sogar der Autoverkehr Unter den Linden sei geringer als ursprünglich prognostiziert: Statt 8.000 Autos sind es zurzeit nur 4.500 pro Stunde.

Problematische Baustellen: Die Beeinträchtigungen durch Baustellen erkennen die Befürworter an. Sie hoffen, diese durch den unterirdischen Schildvortrieb und provisorische Überdachungen an offenen Gruben zu verringern. Ihr Vorschlag zur Güte: Aus der Baustelle ein Event machen und so Touristen anlocken.

Die Gegner lassen sich so nicht beruhigen. Sie fürchten um die Geschäfte an der Friedrichstraße, wenn Baustellen Besucher abschrecken. Bis zu 18 Monate sei die Friedrichstraße nicht für den Liefer- und Besucherverkehr anfahrbar. Potenzielle Investoren würden so verschreckt. RICHARD ROTHER

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