■ Etikettenschwindel oder Erfolg? Kein Konsens zum Atomausstieg bei taz-LeserInnen: Konsens gleich Nonsens
betr.: „AKW kriegen lebenslänglich“ u. a., taz vom 16. 6. 00, „Grüne Kettenreaktion“ u. a., taz vom 17./18. 6. 00
Das Ergebnis der Konsensverhandlungen mit den Energiekonzernen wird von den grünen Spitzenpolitikern als erfolgreich durchgesetzter Atomausstieg verkauft. Doch die Zugeständnisse von Rot-Grün an die Atomindustrie übertreffen bei weitem das, was diese in 16-jähriger Kohl-Herrschaft an Wohltaten erhalten hat, obwohl Altkanzler Kohl und seine Parteifreunde mit Geschenken auch nicht knauserig waren. Der verabredete Konsens zum „Atomausstieg“ ist ein Etikettenschwindel, mit dem die Öffentlichkeit getäuscht werden soll. [...]
Die Bevölkerung an den Standorten von Atomkraftwerken wird sich gegen die Zwischenlager wehren. Überall dort, wo Atommüll auf Deponien abgelagert werden soll, wird es Widerstand geben. [...] Die Grünen sollten sich um ihrer Ziele, aber auch um ihrer Existenz willen darauf besinnen, der verlängerte Arm der Anti-AKW-Bewegung im Parlament zu sein, so wie sie es zu Beginn ihrer politischen Laufbahn versprochen hatten.
TRAUTE KIRSCH, Beverungen
Der Atomausstiegsbeschluss mag weit weg von dem sein, was wir uns einmal erhofft haben, aber er ist ein Erfolg, und alle, die sich realistisch mit Politik befassen, täten gut daran, diesen Beschluss zu unterstützen und auf Basis dieses Beschlusses weiter für das Ende des Atom- und den Beginn des Solarzeitalters zu kämpfen.
[...]Was zählt, ist, dass der Ausstiegsprozess anläuft und so bald wie möglich politisch und ökonomisch unumkehrbar wird und dass international ein Zeichen gesetzt wird. Und da haben wir jetzt einen Beschluss, der eine Richtung vorgibt. Wenn jedoch diese Regierung am Ende der Legislaturperiode kippt, dann wird auch das bisher Erreichte noch problemlos umkehrbar sein. [...] Man kann sich jetzt klar entscheiden zwischen: 1. Ich will den Ausstieg aus der Atomenergie in der Realität. Der Anfang ist gemacht, es gilt, die politischen Rahmenbedingungen zu sichern und zu verbessern. 2. Ich will meine rein ökologische Seele behalten, was in der Realität passiert, ist mir egal.
LUTZ ROHRMANN, Edingen-Neckarhausen
Mag schon sein, dass zwischen Schröder (der Regierung) und der Atomlobby weitgehend Übereinstimmung besteht in dem Glauben, dass auf diese Art und unter diesem Namen sich am besten verkaufen lasse, an das Volk, das blöde, was man ohnehin zu tun gedenkt. [...] Das Volk, dich und mich, schließt dieser „Konsens“ nicht ein. – Da sind wir uns doch einig? Konsens.
ANDREA SCHULTZ-WILD, Mechernich-Kommern
[...] Ist der Widerstand gegen die Endlagerung ein Primärziel oder eine Strategie zur Blockade von Atomkraftwerksneugenehmigungen? Ist die Blockade von Atommülltransporten ein Primärziel (mit der Konsequenz, dass radioaktive Abfälle auf immer an dem Ort bleiben, wo sie entstehen)? Oder doch eine Strategie zur Blockade der Zwischen- und Endlagerung; und überhaupt eine pressefähige Projektionsfläche. Kann man jetzt – nach der Einigung – zugeben: Ist nicht die „Endlagerung“, wenn auch eine schlechte, so doch die vernünftigste Lösung? Ist es nicht letztlich weniger gefährlich, radioaktive Abfälle dorthin zu transportieren, wo man sie sicherer lagern kann? [...]
Zu spät. Die instrumentellen Argumente des Widerstandes haben sich in den Köpfen der grünen Masse in Primärtugenden verwandelt. [...] PETER NIEBERT, Grenoble, Frankreich
Jammern nützt nichts. Der Nonsens steht, und der Atomausstieg kommt nach wie vor nur durch uns, und zwar außerhalb von parlamentarischen Pfaden. Also, ab sofort in die Startlöcher für den Herbst und das nächste Frühjahr. Dann rollen sie wieder mit grüner Genehmigung, die Atommülltransporte! [...]
HERBERT WÜRTH, Ludwigsburg
Ein guter Tag für Deutschland! Wir steigen aus, und das schon in 32 Jahren! Hoffentlich sind Gerd und Jürgen dann noch am Regieren, damit wir ihnen dann herzlich danken können.
Auch wir Menschen sollten erkennen, wie großartig das ist und wie hart die Regierungskoalition gekämpft hat, um unsere Zukunft zu sichern. Alle BürgerInnen sollten sich ein Beispiel nehmen. Von Rot-Grün lernen heißt siegen lernen!
Ich fange an. Nach langem Ringen mit mir selbst, habe ich mich heute vertraglich verpflichtet: in zwölf Jahren mit dem Rauchen aufzuhören (Zigarettenrestmenge 110.000), in 22 Jahren dem Alkohol abzuschwören und in 32 Jahren fünf Kilo abzunehmen. Jetzt fühle ich mich schon viel besser! STEFFEN WAGNER, Berlin
Herr Trittin hat Recht – der Atomausstieg ist im internationalen Vergleich ohne Beispiel.
Das macht ihn aber nicht besser. Denn wirklich unumkehrbar ist das Auslaufen der fossilen Brennstoffe Gas, Öl und Kohle und der Schaden, der durch Klimaveränderungen eintritt. Mit der angeblich unumkehrbaren „atomaren Erblast des Atomeinstiegs“ wird die Technik fertig – Stichworte: aufbereiten, unverbrauchten und erbrüteten Brennstoff rückführen, den Rest endlagern. Was da ist, das kann man aufarbeiten, behandeln, verwenden, was weg ist, ist weg. Die regenerativen Energiequellen allein reichen als Ersatz nicht aus.
Kernenergie hat die technischen Potenzen für eine nachhaltige Energieversorgung der Menschheit mit Fusion, Brütern und Reaktoren zur Verbrennung des langlebigen Abfalls. Wenn heute die Grünen versprechen, dass sie CO2 auch ohne Kernenergie reduzieren können, dann haben sie morgen das Problem, die fossilen Brennstoffe schneller gänzlich ersetzen zu müssen. [...]
HORST-MICHAEL PRASSER, Dresden
Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen