piwik no script img

Ein Werk auf tausend Plateaus

Der Künstler und Musiker Stephen Prina mit seiner Komposition „To the people of Berlin“ im Hamburger Bahnhof

Die amerikanische Avant-Kraut-Band The Red Krayola ist so etwas wie der Prototyp des „interdisziplinären“ Künstlerkollektivs. Gegründet zur Hochzeit der Konzeptkunst in den späten Sechzigern, liefen die künstlerischen Vorstellungen von Mayo Thompson und seinen Mitmusikern innerhalb eines vagen Bandgefüges geradezu synergetisch quer – bei Red Krayola war auch der Cover-Gestalter ein Bandmitglied. 1994 stieß der in Los Angeles lebende Künstler Stephen Prina zu Red Krayola, deren undogmatisches Lavieren zwischer trockener Kunsttheorie und ungezwungenen Popstrukturen genau Prinas Ansatz als bildender Künstler entsprach.

Schon während seiner Studienzeit gehörte er an der Musikakademie mit musikalischen Vorlieben von Steely Dan bis Stockhausen zu den Außenseitern. Prina arbeitete daran, bekannte Gesamtwerke anderer Künstler neu zu kartografieren, und nutzte bestimmte Charakteristika des Originals als Ausgangsmaterial für das eigene Werk. So ist die 1982 entstandene Arbeit „Aristotle-Plato-Socrates“ eine Neuinterpretation verschiedener Bilder von Rembrandt und David, die Prina mit einem Punktraster, wie sie Fotojournalisten benutzen, überzog und damit die ursprünglichen Informationsoberflächen mit einer modernen Technik aus dem Grafikdesign neu beschrieb.

Sein letztjähriges Debüt-Album „Push comes to Love“ überraschte aber selbst hartgesottenste Prina-Experten. Das mit den Chicagoer Avantrock-Heroen Jim O’Rourke und David Grubbs eingespielte Album hatte so gar nichts mit Prinas üblicher Arbeitsmethode gemein: Singer/Songwriter-Pop, sehr gefällig, mitunter etwas linkisch-simplifiziert, aber herzlich.

Tatsächlich besteht das äußerst homogene Album aus unzähligen Zufallsprodukten, Skizzen und Textfragmenten befreundeter Künstler: ein komplexes, im Studio aufbereitetes Patchwork. Auch sein eigens für die Konzertreihe „Musikwerke Bildender Künstler“ komponiertes Stück „To the People of Berlin“ greift fremdes Gedankengut auf und rekonfiguriert es durch seine eigene Perspektive.

Prina, der seinem Publikum auch schon mal im Trainingsanzug entgegentritt, bezieht sich u.a. auf einige von Peer Rabens Songs für Rainer-Werner-Fassbinder-Filme, die er auf seine eigene Komposition für ein 15-köpfiges Ensemble einwirken lässt. Eine abschließende A-capella-Coverversion eines George-Michael-Hits sollte aber auch im steifen White-Cube-Ambiente des Hamburger Bahnhofs niemanden wirklich überraschen.

ANDREAS BUSCHE

Stephen Prina: „To the people of Berlin“, ab 20 Uhr, Hamburger Bahnhof

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen