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Jack Straw macht die EU zur Insel

Der britische Innenminister prescht vor: Nicht nur das EU-Asylrecht will er revidieren, sondern auch die Genfer Flüchtlingskonvention. Wie im Kosovo sollen Flüchtlinge künftig vor Ort Schutz erhalten

BERLIN taz ■ Wie können bei der illegalen Migration nach Europa Katastrophen wie die von Dover verhindert werden? Auf europäischer Ebene sorgt derzeit ein Vorschlag des britischen Innenministers Jack Straw für Aufsehen, der eine grundsätzliche Neukonzeption des Asyl- und Flüchtlingsrechts vorsieht, bis hin zur Revision der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. Kernpunkt: Asylsuchenden sollte in ihrer Heimatregion Schutz geboten werden, damit sie nicht nach Europa müssen.

Nach Straws Modell würde eine gemeinsame EU-Asylpolitik so aussehen: Flüchtlinge, die aus einem als Verfolgerstaat anerkannten Land in die EU wollen, tun dies vor ihrer Abreise kund; die so entstehenden Anträge werden dann nach einem festgelegten Schlüssel unter den EU-Mitgliedstaaten aufgeteilt.

Unter der Genfer Flüchtlingskonvention, kritisierte Straw letzten Freitag auf einer EU-Konferenz zum Thema in Lissabon, „sind wir verpflichtet, alle auf unserem Staatsgebiet gestellten Asylanträge zu begründen, wie unbegründet auch immer, aber wir sind nicht verpflichtet, auf unserem Staatsgebiet die Ankunft von Antragswilligen zu erleichtern, wie echt und begründet auch immer.“ Wer in ein europäisches Land wolle, sei „gezwungen, unsere Einwanderungsgesetze zu brechen“ und sich in „verkünstelte, legalistische, teure und verzögerungsanfällige“ Asylprozeduren zu begeben. Dies entspreche nicht dem Geist der Flüchtlingskonvention, als es „keine Erwartung massiver transkontinentaler Migrationsbewegungen“ gab. „Damals war die Annahme, dass die meisten Flüchtlinge besseren Schutz in Nachbarländern in derselben Region fänden. Dies bleibt heute oft die bessere Lösung.“ Zum Beispiel, als vor einem Jahr fliehende Kosovo-Albaner Aufnahme in Nachbarländern fanden.

Der Präzedenzfall Kosovo ist einer, bei dem Flüchtlinge als solche anerkannt waren, bevor sie in die EU einreisen konnten. Dies will Straw zum Modell einer neuen EU-Asylpolitik machen: „Wir könnten uns eine Situation vorstellen, wo die EU Länder und ethnische Gruppen darin identifiziert, die ein hohes Ausmaß an Verfolgung erleben, und für jeden EU-Staat Quoten für die Annahme von außerhalb des Empfängerlandes gestellten Asylanträgen vereinbart“, so der britische Innenminister. Es solle daneben eine EU-einheitliche Liste sicherer Herkunftsländer geben und eine dritte Gruppe von Ländern, für die es eine „allgemeine Sicherheitsvermutung“ gebe und aus denen Asylanträge beschleunigt behandelt würden.

Flüchtlingsgruppen haben die Vorschläge scharf kritisiert. So sagte amnesty international, Großbritannien wolle sich „die wenigen Flüchtlinge, die es akzeptiert, aussuchen“ und die Flüchtlingslast in den armen Ländern konzentrieren. Außerdem würde der Grundsatz der Einzelfallprüfung aufgeweicht.

Andererseits war es unbestreitbar ein Fortschritt, dass Kosovo-Flüchtlinge während des Krieges vor einem Jahr keiner Einzelfallprüfung unterzogen und nahe ihrer Heimat versorgt wurden. Ähnliches könnte heute für viele Flüchtlinge aus afrikanischen Kriegen gelten, was allerdings mehr Engagement der reicheren Nationen vor Ort voraussetzt. Eine konsequente Umsetzung der Vorschläge Straws müsste eine masive Aufstockung der diplomatischen und humanitären Präsenz Europas in den Krisenregionen der Welt nach sich ziehen.

Illegale Arbeitsmigration, wie die der in Dover tot aufgefundenen Chinesen, würde so zwar nicht enden. Nur hätte die EU endlich die Handhabe, nach der sie sucht, um illegalen Migranten ohne Asylanspruch ihre Türen komplett zu verschließen. Sollte es dann keine Modernisierung des Einwanderungsrechts geben, um legale Arbeitsmigration zu ermöglichen, wäre die Festung Europa endgültig dicht. DOMINIC JOHNSON

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