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NS-Gesetz schützt Anwälte

Ein pensionierter Richter legt Verfassungsbeschwerde gegen das Rechtsberatungsgesetz ein, das aus der NS-Zeit stammt. Anwaltsvereinigungen fürchten neue Konkurrenten

BERLIN taz ■ Helmut Kramer ist empört. Mit dem deutschen Rechtsberatungsgesetz werde versucht, das „Engagement für Menschen in Notlagen zu verhindern“.

Nach Ansicht des pensionierten niedersächsischen Richters müssen Flüchtlingshelfer und andere Bürgerinitiativen stets fürchten, dass ihnen „unerlaubte Rechtsberatung“ vorgeworfen wird. Das aus dem Jahr 1935 stammende Gesetz bestimmt, dass die Bürger in juristischen Fragen im Wesentlichen nur von zugelassenen Rechtsanwälten beraten werden dürfen. Kramer weiß, wovon er spricht. Er wurde jüngst (nach einer Selbstanzeige) zu 600 Mark Geldbuße verurteilt, da er zwei Totalverweigerer beraten hat. Diese wiederum standen vor Gericht, weil sie ihrerseits andere Verweigerer rechtlich unterstützt hatten. Kramer hat nun Verfassungsbeschwerde eingereicht. Er hält das Rechtsberatungsgesetz für grundgesetzwidrig. Zumindest will er erreichen, dass „unentgeltlicher“ Rechtsrat nicht mehr unterbunden wird. Nach bisheriger Auslegung gilt schon die mehrfache kostenlose Rechtsberatung als „geschäftsmäßig“ und damit verboten. Im NS-Staat sollte das Gesetz den mit Berufsverbot belegten jüdischen und regimekritischen Anwälten jede juristische Tätigkeit unmöglich machen. Doch das Gesetzeswerk blieb auch nach dem Krieg bestehen, nur diente es nun dem Verbraucherschutz. Die Bürger sollten davor bewahrt werden, durch schlechte Ratgeber Rechtspositionen zu verlieren.

Inzwischen ist das Rechtsberatungsgesetz auch in lukrativen Bereichen unter Druck geraten. So würden etwa Rechtsschutzversicherungen gerne die Beratung ihrer Kunden durch angestellte Mitarbeiter ausführen lassen, weil sie die Dienstleistung von freien Anwälten für zu teuer halten. Auch Unternehmensberater könnten ohne das Gesetz rechtsberatende Tätigkeit übernehmen.

Für eine Deregulierung spricht jedenfalls, dass alle anderen EU-Staaten ihren Bürgern die freie Wahl des Rechtsberaters durchaus zutrauen. Selbst in der Anwaltschaft gibt es mittlerweile Stimmen, die das Rechtsberatungsgesetz als ein überkommenes Relikt ansehen. So warb Michael Kleine-Cosack, Vorstandsmitglied im Deutschen Anwaltverein (DAV), beim letzten Anwaltstags Anfang Juni nachdrücklich für eine Reform. Auch er hält das Rechtsberatungsgesetz in seiner derzeitigen Form für verfassungswidrig, denn es greife ohne ausreichenden Grund in die Berufsfreiheit derer ein, die auch gerne Rechtsberatung anbieten wollten. Sein Wort hat Gewicht, schließlich hat er schon zahlreiche Beschränkungen im starren anwaltlichen Berufsrecht vor Gericht niedergekämpft. Noch möchte allerdings die Mehrheit der Anwälte nicht auf das Gesetz verzichten. Sie sehen das Rechtsberatungsgesetz als Teil des sozialen Netzes, das die schutzbedürftigen Bürger vor der „Kälte“ des freien Spiels der Kräfte schützt, so Felix Busse, der ehemalige DAV-Vorsitzende. Gegen eine Liberalisierung setzt sich nun auch die FDP ein. In einer großen Anfrage fordern die „Liberalen“ die Bundesregierung auf, sich für den „europaweit einzigartigen Verbraucherschutz“ einzusetzen. Damit rennt die FDP aber offene Türen ein. Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) hat bislang „keine Pläne“, das Rechtsberatungsgesetz zu lockern. Doch Kleine-Cosack ist davon überzeugt, dass eine Aufweichung nicht mehr aufzuhalten ist. „Heute kann sich jemand doch einfach in Luxemburg niederlassen und dann über die Grenze per Internet oder Telefon Rechtsberatung machen.“ Seiner Auffassung nach lässt sich der verbraucherschützerische Kern des Gesetzes nur aufrechterhalten, wenn alle Regelungen, die Anwälte lediglich vor spezialisierter Konkurrenz schützen, fallen gelassen werden. Auch unter seinen Kollegen wächst die Einsicht, dass die derzeit rund 100.000 Anwälte am wachsenden Beratungsmarkt am besten partizipieren können, wenn sie sich nicht hinter überkommenen Schutzgesetzen verstecken. „Nur Rechtsanwälte“, betont etwa DAV-Sprecher Sven Walentowsky, „bürgen gleichermaßen für Verschwiegenheit, Parteilichkeit und Unabhängigkeit.“ Und wenn sie Unsinn erzählen, haben sie – im Gegensatz zu anderen Beratern – eine Pflichtversicherung.

CHRISTIAN RATH

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