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Der Blickwechsel des Sommers

■ Im Paula Modersohn-Becker Museum werden Werke zweier Künstlerinnen verglichen, die sich in vielem unterscheiden: Die Doppelschau von Käthe Kollwitz und der Hauskünstlerin ist gewagt, aber sehr gut

Nichts liegt näher, als Werke von Paula Modersohn-Becker und Käthe Kollwitz gemeinsam auszustellen. Oder doch nicht? Dass die beiden bekanntesten deutschen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts oftmals in einem Atemzug genannt werden, ist eigentlich verwunderlich. Käthe Kollwitz widmete sich der Grafik und Bildhauerei, Paula Modersohn-Becker wurde Malerin. Und obwohl beide in Berlin und Paris tätig waren, lernten sie sich nie kennen.

Wie sehr sich die künstlerischen Entwicklungen unterscheiden, zeigt die seit Sonntag geöffnete Ausstellung „Blickwechsel“ im Paula Modersohn-Becker Museum. Über 160 Werke sind in dem erstmalig vollzogenen Vergleich zu sehen: Ein gewagtes Unternehmen. So divergieren die Stilrichtungen und Arbeitstechniken dermaßen, dass die Bilder jeder Künstlerin eigenen Räumen zugeordnet werden mussten. Allein die frühen Studien wurden in einem Raum direkt gegenübergestellt. Frühe Studien? Bereits die bloße Existenz solcher Arbeiten ist ungewöhnlich: Hat ein Künstler die Ausbildungsstätte erst einmal verlassen, pflegt er meistens sämtliche Zeugen seiner Lernphase zu vernichten. Dass Paula Modersohn-Becker sich gegen die Vernichtung entschied, ist ein Glücksfall für die Bremer Ausstellung. Neben den frühen Arbeiten von Käthe Kollwitz fallen sie nämlich kaum auf – und gerade das ist auffällig. Nahezu grafisch muten die Werke der Berliner Studentin an. Hier wird penibel gezeichnet, auf möglichst originalgetreue Abbildung des Modells geachtet. Von ihrem späteren, großflächigen Malstil hingegen ist noch keine Spur zu erkennen. Erst gegen Ende der Studienzeit beginnt sie, die Außenkonturen ihrer Objekte zu betonen und unterscheidet sich damit von Käthe Kollwitz. Deren Technik entwickelt sich in die entgegengesetzte Richtung: Die Außenkonturen verschwimmen, die Binnenstruktur wird filigran ausgearbeitet.

Von nun an sind Gemeinsamkeiten nur noch in der Motivik zu erkennen, nicht mehr in der technischen Ausarbeitung. So legen beide Künstlerinnen Wert darauf, ihre Porträtmodelle nicht zu schönen. Doch während Käthe Kollwitz die Schraffierweise mit Federzeichnungen einübt, um sich so der Radiertechnik anzunähern, sucht Paula Modersohn-Becker nach neuen Farbwirkungen. Mit Kohle, Kreide und Rötel arbeitet sie großflächig die Gesichtszüge einer alten Bäuerin heraus, die frontal abgebildet wird: Eine Ausnahme, denn gewöhnlich zeigen Modersohn-Beckers Modelle ihren BetrachterInnen die kalte Schulter. Bei Käthe Kollwitz ist das wiederum ganz anders. Ihre Figuren sprechen die BetrachterInnen mit Blicken oder Gebärden an.

Durch die Offenlegung dieser Unterschiede gelingt es den AusstellerInnen, das Profil der einzelnen Künstlerin zu schärfen. Und darum geht es ihnen, wie Anette Seeler vom Paula Modersohn-Becker Museum betont. Im Mittelpunkt sollen nicht so sehr die Inhalte stehen, wie der Stil und die Mittel, welche die künstlerische Entwicklung bestimmen. Dabei übersehen allerdings die AusstellerInnen selbst, dass das eine das andere nicht ausschließt. Schließlich kommen gerade durch die gekonnte Gegenüberstellung der Werke ihre Inhalte zum Tragen.

Es ist also ein in jeder Hinsicht überzeugendes Projekt, so dass Anette Seeler zu Recht behaupten kann: „Wir haben die Hauptausstellung dieses Sommers.“

Johannes Bruggaier

Die Ausstellung „Blickwechsel“ ist bis zum 10. September, dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Infos: Tel.: 336 50 66/77

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