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Hier bewegt sich was

■ Die Vorschau: Viele KünstlerInnen arbeiten heutzutage mit Bildern und mit Tönen. Das Atelierhaus Friesenstraße zeigt jetzt, wie sehr die Genres zusammengerückt sind

Wenn Grenzübergänge zu Zeltlagern werden und die Schnittstellenpopulation wächst, dann sprechen MarketingexpertInnen von Trends und FremdwörterliebhaberInnen von Interdisziplinarität. Gemeinsam glauben beide: Hier bewegt sich was. Wie Recht sie damit haben, zeigt diese Woche eine Reihe von Konzerten im Atelierhaus Friesenstraße, die sich ebenfalls um verschwimmende Demarkationslinien kümmert. Genauer um die zwischen bildender Kunst und Musik. Ein Bereich, der seit geraumer Zeit auch in Bremen befruchtende Übergriffe verzeichnet und sich im Rahmen dieser Konzerte einer interessierten Öffentlichkeit vorstellen möchte. Dazu haben die VeranstalterInnen Wolfgang Michael und Marion Bertram sowohl lokale als auch nationale Vertreter dieses Crossovers eingeladen.

Das aus Bremen und Hamburg stammende elektro-akustische Bandprojekt Phil wird das Programm am heutigen Mittwoch eröffnen. Die Arbeit der Gruppe um den Bremer Künstler Michael Rieken und den Hamburger Musiker Carsten Görig steht im Spannungsfeld zwischen Erinnern und Vergessen. Dabei wird die Speicherung von Musik als Arbeitsgrundlage genutzt. Von den Speicherungsmöglichkeiten als Arbeitsmaterialien ausgehend, versuchen Phil mittels Schichtung, Überlagerung, Überschreibung und dauernder Veränderung der Klangquellen, die Inhalte zumindest teilweise aus den Erinnerungsspeichern herauszulösen und neu zu nutzen. Das Ergebnis der in der Besetzung Violine, Live Electronics, Plattenspieler und E-Bass auftretenden Band, nennen Phil selbst „Digital Folk“.

Im Anschluss wird der Berliner Künstler und Musiker Carsten Nicolai als „alva noto“ dem Ansatz der Veranstaltung in einer Verflechtung von Musik und Video gerecht werden. Die Verbindung, die Nicolais Schwäche für Monotonie mit seiner Faszination für Fehler und Codes eingeht, mündet in einem pulsierenden digitalen Klangbild aus Clicks, Schleifen und präparierten Sinusfrequenzen.

Rainer Zinke, der morgen den zweiten Tag der Konzertreihe mitgestalten wird, macht seine Zugehörigkeit zum übergreifenden Thema der Veranstaltung bereits im Namen seines Beitrags deutlich. „Hörbild“ lautet der Titel der Arbeit des Bremer Künstlers, der bereits in den frühen 70er Jahren mit Tonbandversuchen experimentierte. Der analogen Technik ist Zinke auch bei der Wiederaufnahme dieser Arbeit treu geblieben. Die beiden Stücke, die an diesem Donnerstag zur Aufführung kommen werden, bewegen sich im weiten Feld zwischen absoluter Musik und absoluter Nichtmusik und spielen mit den visuellen Stimulationen, die an diese Musiken geknüpft werden.

Zwischen beiden „Hörbildern“ möchte das Bremer Duo Phon ein „Museum of modern music“ entstehen lassen. Dabei bilden Schallplatten mit E-Musik-Aufnahmen des 20. Jahrhunderts die Grundlage. Diesen wird jedoch mit Hilfe des Computers die traditionelle Eigenschaft der Schallplatte, Linearität, genommen. Phon ersetzen diese durch ein Patchwork aus Samples und Gleichzeitigkeiten, das durch perkussive Raster strukturiert wird und dadurch Bezüge zur elektronischen Popmusik der Gegenwart erkennen lässt.

Parallel zu den Konzertveranstaltungen ist in einem zweiten Raum eine Installation der Bremer Künstler Stefan Jeep und Ole Wulfers namens „Still“ zu sehen. Darin bleiben Jeep und Wulfers, die Anfang des Jahres den Förderpreis der Stadt erhielten, dem großen Thema ihrer letzten Arbeiten treu. Nach wie vor beschäftigt sie die Konstruktion von Realität mittels sinnlicher Wahrnehmung im Allgemeinen und die mögliche Irritation eben dieser im Besonderen. Bei „Still“ gelingt es ihnen auf eindrucksvolle Weise die Permanenz des Raums zur Disposition zu stellen. Alles andere sollte man selbst herausfinden.

Gregor Kessler

Crossover Konzerte im Atelierhaus Friesenstraße, Friesenstraße 30. Phil und Carsten Nicolai: heute, Mittwoch, 20 Uhr. Rainer Zinke und Phon: Donnerstag, 20 Uhr. Die Installation „Still“: bis 1. Juli täglich von 16 bis 19 Uhr.

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