Atom-Konsens – Atom-Dissens
: Wenn ein Werkzeug stumpf wird . . .

betr.: „Konsens oder Krach: Finden die Grünen eine Zukunft?“, taz vom 23. 6. 00

Das Bundesumweltministerium erklärt im Rahmen der Konsensvereinbarungen, die Auflagen für Nachrüstungen von Biblis A daran anzupassen, dass sie sowohl den sicheren Betrieb gewährleisten als auch in angemessenem Verhältnis zur Restnutzung stehen. Wenn die Bundesregierung im Übrigen den ungestörten Weiterbetrieb aller Kernkraftanlagen gewährleistet und die derzeitigen gesetzlichen Sicherheitsstandards beizubehalten zusagt, kann das nur heißen, für die vereinbarten Restlaufzeiten begrenzen die wirtschaftlichen Maßstäbe der Betreiber die Investitionen in Sicherheitseinrichtungen. Das Atomgesetz verpflichtet jetzt noch dazu, neue Erkenntnisse über Risiken und mögliche Sicherheitsmaßnahmen zu berücksichtigen, auch wenn das die Wirtschaftlichkeit beeinträchtigt. Wird die bündnisgrüne Bundestagsfraktion aufpassen, dass es so bleibt? DIETRICH JAHN, Hannover

Ich denke, aus diesem Atom-Dissens lässt sich v. a. eins rauslesen, nämlich dass es in dieser grünen Partei/(Ex-)Bewegung zwei Strömungen gibt, die zu unterschiedlich sind, um zusammenleben zu können. Vielleicht sogar schon zu unterschiedlich, um überhaupt noch verstehen zu können, was die jeweils anderen mit Zielen wie dem Atomausstieg wirklich meinen ...

Während die einen die Atomenergie als solche bekämpfen und mit dem (doch immerhin absehbaren) Ende nuklearer Energiegewinnung zufrieden sind, haben die anderen in der Atomenergie immer vorrangig ein Symptom für ein viel größeres Problem gesehen: für die unkontrollierbare Macht und den sozialen Autismus des Kapitals, das den Staat, die Wissenschaft, die Kultur vereinnahmt. Dass diese diffuse Macht aus dem ganzen Ärger ohne einen Kratzer hervorgeht, dass sie die großzügigsten Übergangsregelungen bekommt, ihre Mittel auf andere – aber sicher nicht wünschenswertere – Engagements zu verlagern, ist die eigentliche Enttäuschung dieser zweiten, wenn man so will „fundamentalistischen“ Strömung.

Diesen Leuten kann ich eigentlich nur eins raten: Es ist wohl besser, sich en bloc selbstständig zu machen, als Stück für Stück aus der Partei zu tröpfeln und den Zusammenhalt zu verlieren. Es sind ja in den letzten Jahren schon einige raus aus der Partei ... mit diesen Exilanten haben die Nonsens-Konsens-Gegner ganz sicher mehr gemeinsam als mit der grünen Mehrheitsgesellschaft. [...]

Eine Partei soll ein Werkzeug sein, aber wenn ein Werkzeug stumpf wird und eine „Wiederaufbereitung“ nicht mehr zu erwarten ist, bleibt nix übrig, als sich davon zu trennen. Alles andere wäre verschwendete Zeit, denn was hilft's mir, wenn meine Partei an der Macht ist, sich aber so verändert hat, dass ich mich kaum noch zugehörig fühle? FLORIAN SUITTENPOITNER, München

Wenn ich nur den Ausdruck Atomkompromiss höre, so bin ich schon geladen. Ich kann mich noch daran erinnern, dass der erste Satz des Atomgesetzes sinngemäß hieß: „Solange die Entsorgung nicht gesichert ist, geht kein Reaktor ans Netz.“ Die Entsorgung war und ist nicht gesichert, die Reaktoren gingen ans Netz, das Gesetz wurde geändert.

Ich würde gern den Politiker sehen, der die erste Halbwertszeit von Plutonium 239 beziehungsweise Uran 235 übersteht und noch im Bundestag sitzt, es sind ja nur 6.370 beziehungsweise 4.175.000 Legislaturperioden. Die Halbwertszeit ist die Zeit, die auf „natürliche“ Weise benötigt wird, um aus einem Kilogramm ein Halbes zu machen, um daraus ein Viertel zu machen, dauert noch einmal so lange. Leider wird diese Zahl nie zu Null, da selbst ein Nanogramm noch halbierbar ist.

MARIE-LUISE SCHIFTER, Weilerbach

Liebe grüne Politiker, ich war mit 16 in Kalkar und ab dann bei etlichen Anti-Atom-Demos. Seit es euch gibt, wähle ich euch. Jetzt bin ich 40, und als ich die grinsenden Oberhäupter Röstel, Trittin, Schlauch und Co. bei der Pressekonferenz zum Atombeschluss gesehen habe, ist mir die Spucke weggeblieben.

Ich bin schlicht und ergreifend wütend auf diese Pappnasen, die diese traurige Niederlage als Erfolg bewerten. Was ist das für ein „Erfolg“, wenn man eigentlich für den sofortigen Ausstieg war und jetzt bei wackeligen 30 Jahren gelandet ist. 30 weitere Jahre Atomenergie, und ihr sagt „Ja“. Das kann doch nicht euer Ernst sein.

Wenn sich in Gorleben und anderswo der Protest wieder erheben wird, werdet ihr jetzt womöglich noch für die Polizeieinsätze sein. Werdet ihr auch die Castor-Transporte schützen?

Wenn ihr beim Parteitag diesen Atombeschluss mehrheitlich unterstützt, habt ihr euch endgültig zum Dackel der Großindustrie gemacht. Ihr seid gerade dabei, sehr viele Freunde und Wähler zu verlieren – dazu gehöre ich und viele andere auch. [...]

PHILIP GASSMANN, Autor und Regisseur