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Maus schlägt Katze

Vom kleinen Schneemann, der so gerne aus seiner Schneekugel ausbrechen möchte, und anderen bewegten Wesen: filmkunst 66 und Blow Up zeigen Zeichentrickfilme aus zwei Jahrhunderten

von JENNI ZYLKA

Der erste Film war ein Zeichentrickfilm. Ein französischer Physikprofessor namens Émile Reynaud zeigte 1892, noch vor den Brüdern Lumière und den Brüdern Skladanowsky, einen aus 700 gemalten Bildern bestehenden Film mit seinem „Praxinoskop“ und begleitete ihn mit Musik.

Vermutlich ging es in dem teilweise farbigen Film nicht um eine dickliche Maus mit Quäkstimme, aber wenig später wurde immerhin eine Katze die erste Trickfilmserienheldin: „Fritz The Cat“ malte Pat Sullivan 1920. Der Rest ist irgendwie Geschichte.

Walt Disneys Filmproduktion hat die Ausmaße eines Imperiums, die Industrie hat den Zeichentrickfilm längst entdeckt, und sogar Auszeichnungen werden inzwischen vergeben, Trick-Oscars, Deutsche Filmpreise und so weiter. Beim Zeichentrick-Festival in den Kinos filmkunst 66 und Blow Up wird jetzt die Geschichte des Trickfilms quasi minutiös aufgerollt. Die ältesten Werke sind von 1895, die neueren sind John-Lasseter-Produktionen wie der fantastische „Toy Story II“, ein am Computer entstandener Animationsfilm, genauso liebevoll und aufwendig hergestellt bzw. errechnet wie die traditionell aus Tausenden von Einzelbildern erstellten „echten“ Zeichentricks. Lasseters Frühwerk, „Knickknack“ von 1995, in dem der kleine süße Schneemann so gern aus seiner Schneekugel ausbrechen möchte, um mit der süßen Bikini-Plastikfigur unter den Palmen zu flirten, wird genauso gezeigt wie die Zeichentrickparabel „Animal Farm“ von 1957, nach dem gleichnamigen George-Orwell-Roman. Überflüssig, auf den Status des Trickfilms als enst zu nehmende Erwachsenenunterhaltung und -kultur hinzuweisen, auf die vielen Innovationen, die Entdeckung der asiatischen Trickfilmkultur wie das japanische Meisterwerk „Akira“. Oder Nick Parks oscarprämiierte „Wallace and Gromit“-Filme, in denen Hunde Raketen fliegen, Küchengeräte Ski fahren, und englische Gentlemen Cheddarkäse lieben.

Natürlich gibt es auch bei Trickfilmen die Palette von grässlich-flach-schlecht gemalt (statt schlecht gespielt) bis hin zu wunderbar-mitreißend-tiefsinnig. Auf der einen Seite darf zum Beispiel der „Pokémon“-Film (Japan 1999) nicht fehlen, in dem sich die nervigen kleinen GameBoy-Monster mit den viel zu großen Augen durch haarsträubende Abenteuer quieken, aber auch der japanische Thriller „Perfect Blue“, von dem der Realfilm-Meister Roger Corman behauptet: „Wenn Hitchcock und Disney zusammengearbeitet hätten, wäre dieser Film dabei herausgekommen.“ Zeichentrickfilme können zu Tränen rühren, wie etwa die holländische Geschichte „Anna und Bella“ von Ringe Borg, in der zwei alt gewordene Schwestern kichernd bei viel Rotwein zusammensitzen und ihr Leben Revue passieren lassen. Birth, School, Work, Death in gezeichneten Fotoalben, und nicht zu vergessen: die Liebe – ein klassischer, sehr einfach gezeichneter kurzer Trickfilm ohne Worte, der trotzdem tragikomisch und ergreifend ist. Oder der Überlebenskampf in „Quest“ von Thomas Stellmach, dessen Protagonist eine golemartige Sandfigur ist, die auf der Suche nach Wasser durch wunderliche, komische Endzeitwelten taumelt. Der Engländer Daniel Graves hat in „Flatworld“ 1997 eine Mischung aus Real- und Trickfilm gezaubert: Seine Figuren sind gezeichnet und zweidimensional. Sie bewegen sich jedoch in einer Realwelt, mit dreidimensionalen Gebäuden, Farben, Schatten und wunderschön gebauten Settings. Ein böser Fisch und eine gutmütige, schwerstens unterschätzte Katze müssen in der Geschichte miteinander und mit diversen bösen Fernsehhelden kämpfen und wechseln ständig zwischen den beiden Welten hin und her.

Außerdem wird die dreiteilige „Geschichte des Zeichentrickfilms“ gezeigt, die die „Pioniere“ aus dem vorletzten Jahrhundert vorstellt und dann über Disney und Tex Avery bis hin zu den computeranimierten modernen Werken geht – ein Fest für alle Fans und MacherInnen.

Und natürlich kann man auch einfach die Blagen einpacken und sie in die Filme mit der dicken Maus und der cholerischen Ente setzen oder in die mit der fiesen Katze Tom und der schlauen Maus Jerry. Ein wunderbarer, gezeichneter Videoclip ist „Minnie The Moocher“ von 1932, mit der langbeinigen Betty Boop und Jazzgröße Cab Calloway. „Sexy Betty“ ist aber eher etwas für die Eltern.

Bis zum 5. Juli im filmkunst 66, Bleibtreustr. 12, und Blow Up, Immanuelkirchstr. 14. Infos: 8 82 17 53, 4 42 86 62

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