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Am Kühlschrank

Der tschechische Spielfilm „Die Rückkehr des Idioten“ isteine Hommage an Milos Forman und das Kleinbürgertum

Es habe keinen Sinn, den Frauen auszuweichen, sagt Emil zu Frantisek und zerrt ihn in einen heruntergekommenen Ballsaal, in dem Tanzstunde stattfindet. Eigentlich ist es natürlich das Leben, vor dem Frantisek auf Anraten seiner Ärzte nicht länger fliehen soll. Denn Frantisek ist der „Idiot“, wie bei Dostojewski ein Epileptiker, der nach langen Jahren der Abwesenheit zurückkommt an einen Ort, wo sich kaum jemand an ihn erinnert. Ohne eigene Lebenserfahrung, hat er umso mehr Verständnis für die Menschen. Nie will er sich einmischen, und doch bringt seine pure Anwesenheit die Verworrenheit der Gefühle um ihn herum erst ans Tageslicht.

So weit alles nach Dostojewski, aber keine Angst, die „Rückkehr des Idioten“ hat im Ganzen mehr mit dem ironischen 60er-Jahre-Existenzialismus eines Milos Forman zu tun als mit dem des 19. Jahrhunderts. In Tschechien ist Jungregisseur Sascha Gedeon mit diesem Film zur neuen Hoffnung avanciert, und das nicht nur bei der Kritik. Mit über einer halben Million Zuschauer gilt „Die Rückkehr des Idioten“ als echter Publikumserfolg. Unschwer zu sehen, woran das liegt: Gedeon erzählt eine zeitlose Geschichte, in seinem Film gibt es weder Anspielungen auf Politik noch auf die Umwälzungen des letzten Jahrzehnts (dafür sind ihm die tschechischen Zuschauer besonders dankbar); allein das „Wie“ des Erzählens macht den ganzen Unterschied.

Darin hat Gedeon tatsächlich Anschluss an die Vorbilder aus den 60er-Jahren gefunden. Mit großer Ruhe verfolgt die Kamera selbst die beiläufigen Regungen auf den Gesichtern, neugierig und doch bemüht, keine Urteile zu fällen. Gelegentliche dokumentarische Schwenks auf das Treiben der Passanten, der Bier trinkenden Tischnachbarn im Café oder Ballhaus verorten die Geschichte im Hier und Heute. Es kommt das ganze Spektrum des im Kern immer kleinbürgerlich gebliebenen Tschechien zur Darstellung, der nächtliche Imbiss am Kühlschrank im Pyjama genauso wie das feierliche Mittagessen mit Gästen und dem besten Porzellan.

In vielen Szenen lässt sich ein direkter Tribut an Forman erkennen, an den „Feuerwehrball“ und den „Schwarzen Peter“. Den Zuschauern in Tschechien mag gefallen haben, dass es bei Gedeon ähnliche Charaktere sind: Trotz aller gesellschaftlichen Umbrüche können sie sich als dieselben wiedererkennen. In dieser Verneinung der Relevanz „äußerer“ Ereignisse beweist der junge Regisseur im Übrigen ebenfalls Geistesverwandtschaft mit seinem Vorbild. Nicht ohne Ironie scheint jedoch, dass die gleiche Haltung – die Menschen als resistent gegenüber den Systemwechseln darzustellen – damals wie heute als oppositionell gilt, wenn auch mit entgegengesetzten Vorzeichen.

Wie Forman interessiert sich Gedeon für die Konventionen des Umgangs und deren Nichtkompatibilität mit den spontanen Gefühlen. Nie wendet sich die Komik gegen die Figuren. Wenn Frantisek den von Anna aus dem Zugfenster geworfenen Jogurt ins Gesicht bekommt, ist das kein simpler Slapstick, sondern traurig und komisch zugleich, ein Hinweis auf die Widrigkeiten des Banalen, wie es ihn auch bei Dostojewski gibt. Gedeon nutzt den feinen Humor gekonnter Wiederholungen und Spiegelungen, um nach und nach das Puzzle seines Beziehungsgeflechts zu entblößen. Wer wen in letzter Minute auf den Zug aufspringen sieht, durch ein Fenster eine Begrüßung oder einen Abschied beobachtet und in wessen An- oder Abwesenheit aufwacht, das sind die kleinen Unterschiede, die den Ablauf bestimmen.

Frantisek, der Idiot, dem niemand etwas zutraut, weder im Guten noch im Bösen, ist der ewige Beobachter, der zu viel weiß. Und immer weiß jemand, dass er es weiß. Das ist alles, was es an Dynamik braucht. Es ist die Beobachtung des Beobachters, die den Film so spannend macht. Und mit diesem systemtheoretischen Blick mitsamt den Verweisen auf Dostojewski steht er mitten in der Gegenwart.

BARBARA SCHWEIZERHOF

„Die Rückkehr des Idioten“. Regie:Sascha Gedeon. Tschechien 1999,100 Min.

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