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Mutig zum Sozialamt

Mit einer Kampagne informieren Studenten des Otto-Suhr-Instituts (OSI) und Wohlfahrtsverbände anspruchsberechtigte Berliner über ihr Recht auf Sozialhilfe. 300.000 nehmen die Hilfe nicht wahr

von GRIT FRÖHLICH

In Zeiten des Sparens ist Armut kein Thema. Während über Sozialmissbrauch debattiert wird, gibt es in Berlin ungefähr 300.000 Menschen, die ihren Anspruch auf Sozialhilfe nicht nutzen – aus Unwissenheit, Scham oder Angst vor dem Sozialamt. Diese verdeckte Armut wird nun Gegenstand einer Kampagne, die gestern Studenten des Otto-Suhr-Instituts (OSI) der Freien Universität gemeinsam mit der Caritas, dem Diakonischen Werk und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband vorstellten. Unter dem Motto „Fehlt Ihnen etwas?“ wollen sie einkommensschwache Berliner über ihren Anspruch aufklären und die Hemmschwelle vor dem Gang zum Sozialamt abbauen.

Am Montag startet die Kampagne mit Werbung in U-Bahnen, Zeitungen und Radios. Ein Infotelefon berät Betroffene fünf Wochen lang. Im Internet kann jeder, der die Kampagne unterstützen möchte, die Anzeigen herunterladen und aufhängen.

Betroffene werden auf die Möglichkeit der ergänzenden Sozialhilfe und einmalige Zuschüsse für Umzüge und Schulmaterial hingewiesen. Die Idee zu der Kampagne war in einem Projektkurs unter Leitung von OSI-Professor Peter Grottian entstanden.

Nach einer wissenschaftlichen Studie kommen bundesweit auf 100 Sozialhilfeempfänger rund 110 Menschen, die ihren Anspruch nicht wahrnehmen. Die öffentliche Hand spart dadurch jährlich 4,5 Milliarden Mark. Der Schaden durch unberechtigte Inanspruchnahme von Sozialhilfe liegt bei nur etwa 280 Millionen Mark.

Die Ausgaben für Sozialhilfe lagen in Berlin 1999 bei 1,8 Milliarden Mark. Würden alle Berechtigten das Geld beantragen, stiegen die Ausgaben um etwa 50 Prozent, schätzt Grottian. Die Verwaltung sei oft nicht an der Aufklärung des Problems interessiert, da das soziale System ohnehin überlastet sei.

Berechtigte Ansprüche würden in jedem Fall geleistet, sagte gestern der Sprecher der Sozialverwaltung, Klaus-Peter Florian: „Ziel ist es aber, mit aktiver Arbeitsmarktpolitik Wege aus der Sozialhilfe zu ebnen.“

Infos: Mo.–Fr. 10–12 Uhr, 79 70 08 79Internet: www.fehlt-ihnen-etwas.de

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