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„Wir gehen bis zum Letzten“

Heute beenden die Handwerksfrauen aus Thüringen und Brandenburg nach 26 Tagen ihren Hungerstreik. Während der Zuspruch der Bevölkerung groß war, ließ sich kaum ein Politiker blicken

von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

Sie haben keine Postadresse und trotzdem erreichte sie ein für sie bestimmter Brief. Die Anschrift „Am Brandenburger Tor“ reichte aus, um den hungerstreikenden Handwerksfrauen das Schreiben einer Berlinerin zuzustellen, in dem diese ihre „Hochachtung vor so viel Mut und Durchhaltevermögen“ zum Ausdruck bringt.

Das ist nicht verwunderlich. Denn seit dem 5. Juni machen drei Handwerksfrauen aus Thüringen und Brandenburg in Sichtweite des Reichstags mit einem Hungerstreik auf unschuldig in Not geratene Handwerksfirmen aufmerksam (taz vom 22. Juni 2000). Weitere betroffene Handwerksfrauen unterstützen sie. Heute läuft die Genehmigung für ihr Matratzencamp hinter dem Brandenburger Tor aus. Ob sie abreisen, ist unklar.

Angetrieben werden sie von der Anteilnahme von Handwerksbetrieben und der Bevölkerung: Zwei Berlinerinnen waschen ihre Wäsche und versorgen sie mit dem Nötigsten; am Dienstag gab es eine Kundgebung, zu der unter anderem die Fachgemeinschaft Bau aufgerufen hatte; am Mittwoch abend kamen Mitarbeiter einer Handwerksfirma vorbei und dankten den Frauen mit Sonnenblumen für ihren „mutigen Einsatz“; ein Berliner spendete 50 Mark und forderte den Bundeskanzler in einem Brief auf, „Ihre Bürger zu achten“. Das Bundeskanzleramt hatte den Ausschlag für den Hungerstreik gegeben, weil es einer der Frauen einen Psychiater auf den Hals schicken wollte.

Dabei machen die Frauen nichts anderes, als um ihr Recht zu kämpfen. „Mein Problem ist, Schönemann und nicht Holzmann zu heißen“, schimpft Monika Schönemann (57). Sie und Margarete Lienke (45) haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) gegen ein Unternehmen ermittelt, das ihnen hunderttausende Mark schuldet. Das Unternehmen hat mit Fördergeldern in den neuen Bundesländern Plattenbauten gekauft und saniert und steht im Verdacht der Konkursverschleppung, Untreue und Steuerhinterziehung. Dutzende von Handwerksbetrieben wurden so in den Ruin getrieben. Die Dritte im Bunde, Monika Wieske (58), die an Krebs leidet und gegen den Rat ihres Arztes hungert, kämpft um 220.000 Mark, die ebenfalls durch den Konkurs eines Auftraggebers ausstehen.

Die Frauen haben nicht nur an Körpergewicht verloren. Auch ihr Vertrauen in die Politik hat eine weitere Schlappe erlitten. Obwohl sie mehrmals das Finanz- und Justizministerien angeschrieben haben und Petitionen im Bundestag anhängig sind, ist kaum etwas passiert. Zwar ließ sich am Mittwoch abend der FDP-Abgeordnete Jürgen Türk blicken, der im „Ausschuss für die Angelegenheiten der Neuen Länder“ sitzt. Doch außer dem Hinweis auf einen „nicht funktionierenden Rechtsstaat“ kam nicht viel raus.

Die einzige Partei, die sich ernsthaft der Problematik annimmt, ist die PDS, die nicht nur die Kosten für das DRK übernimmt, dass den Gesundheitszustand der Frauen überprüft und sie mit Getränken versorgt. Die stellvertretende Vorsitzende der PDS-Fraktion, Christa Luft, und zwei Mitglieder des Bundestages haben dem Finanzminister und der Justizministerin geschrieben. Daraufhin trafen sich die Frauen am Dienstag mit einer Staatssekretärin aus dem Finanzministerium, Vertretern der Deutschen Ausgleichsbank und der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Das Ergebnis: Die Petitionen von Schönemann und Linke werden nicht abgeschlossen, sondern über das Justizministerium Brandenburg soll eine „Billigkeitsregelung“ erreicht werden. Das heißt: Von den sechs Millionen Mark, die die Staatsanwaltschaft bei den Beschuldigten abgeschöpft hat, sollen die Forderungen beglichen werden. Heute wird die PDS in der Debatte „Zehn Jahre Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion“ im Bundestag die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Überprüfung der Fördermittelpraxis für kleine und mittlere Unternehmen beantragen.

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