„Mehr als eine reine Gelehrtenakademie“

Präsident Dieter Simon über die Aufgaben der Akademie, die Flucht aus der Universität und die Tradition als Kapital

taz: Herr Simon, viele unserer Leser werden fragen: Was macht eine Akademie eigentlich?

Dieter Simon: In Deutschland gibt es zwei Akademietypen. Der eine ist die Gelehrtengesellschaft. Es ist eine Auszeichnung, wenn Sie in eine solche Akademie gewählt werden und mit den anderen Ausgezeichneten aus ganz verschiedenen Wissenschaften einen interdisziplinären Dialog führen dürfen. Wenn Sie erst einmal Professor sind, gibt es ja nur noch wenige Auszeichnungen – entweder einen Orden oder eben die Aufnahme in eine Akademie. Sonst können Sie keine Karriere mehr machen.

Darauf beschränkt sich die Berliner Akademie aber nicht?

Wir verstehen uns über die Gelehrtengesellschaft hinaus als Arbeitsakademie. Unsere Mitglieder verfügen über ein reiches Potenzial an Wissen und Erfahrung. Damit können sie an bestimmten Brennpunkten transdisziplinäre Arbeit leisten. Zum Beispiel zu der Frage: Wann ist eigentlich jemand alt? Da müssen Disziplinien wie Versicherungsmathematik, Theologie, Soziologie, Psychologie und Medizin zusammenarbeiten.

Wäre das nicht die Aufgabe der Universitäten?

Eigentlich schon. Das reicht aber nicht mehr aus, weil die Universitäten massiv in die Lehre gedrängt werden. An der Akademie sind die Gelehrten unter sich.

Wie bei ihrer Gründung vor 300 Jahren ermöglicht die Akademie also auch heute die Flucht aus den als krisenhaft empfundenen Universitäten?

Wir sind nicht üppig genug ausgestattet, um unseren Kollegen von der Universität eine echte Zuflucht zu bieten. Die Naturwissenschaften sind aus den Hochschulen längst ausgezogen. Die großen Leistungen werden in den außeruniversitären Einrichtungen erbracht. Die Geisteswissenschaften hatten diese Chance nicht. Deshalb stehen sie mit dem Rücken an der Wand. Für diesen Bereich können wir relativ viel tun. Denn die Geisteswissenschaften sind nicht teuer. Denken kostet nichts.

Ihre Mitglieder sind renommierte Gelehrte mit vielen wissenschaftlichen und organisatorischen Aufgaben. Bleibt da Zeit, um selbst zu forschen?

Das ist sicher ein wunder Punkt. Forschen sollen die Gelehrten bei uns zwar nicht, aber Engagement wird verlangt – viel Zeit, um in Kommissionen zu beraten. Eines unserer Ziele ist, einen Hochschulprofessor für die Zeit, die er in die Akademie investiert, von der Lehre freistellen zu können. Dazu brauche ich aber Geld, das ich vorerst nicht habe.

Finanziert wird die Akademie von den Ländern Berlin und Brandenburg. Ist der Gedanke einer gesamtstaatlichen Akademie, der nach der Wiedervereingung aufkam, damit tot?

Keineswegs. Nach wie vor ist es meine Überzeugung, dass eine gesamtstaatliche Repräsentanz der Wissenschaft dringend notwendig wäre. Das stellt man immer wieder fest, wenn man ins Ausland kommt. In dieser Woche haben wir einen Kooperationsvertrag mit der israelischen Akademie abgeschlossen. Deren Präsident hat gesagt: Normalerweise schließen wir Verträge nur mit Nationalakademien. Bei Ihnen machen wir eine Ausnahme, wegen der großen Tradition.

Heißt das, dass Sie im Ausland schon als Nationalakademie wahrgenommen werden?

Als Nationalakademie sicher nicht. Aber die große Vergangenheit spielt eine Rolle. Ein Amerikaner kann den Begriff „Berlin-Brandenburgisch“ gar nicht aussprechen. Aber „The Prussian Academy“ – das wissen alle. Der zweite Punkt ist die Hauptstadt. Das sind zwei Pfunde, mit denen wir wuchern können.

INTERVIEW: RALPH BOLLMANN