: Atom ist keine große Rede wert
Bei der Bundestagsdebatte zum Atomausstieg ist von der Hitze früherer Auseinandersetzungen um AKW nichts mehr zu spüren. CDU-Chefin Merkel kann nicht punkten und Kanzler Schröder den teuer bezahlten Konsens nicht als Triumph verkaufen
von BETTINA GAUS
Versehen oder gezielte Provokation? „Die neue CSU-Vorsitzende Frau Merkel“, sagt Gerhard Schröder vorne am Rednerpult, und in den Reihen der Opposition wird es unruhig. „Das war wirklich nicht Absicht“, beteuert der Bundeskanzler sofort, „obwohl man es hätte vermuten können. Entschuldigung.“ Die kurze Unruhe im Plenum bleibt fast der einzige Hinweis darauf, dass die Parlamentarier der Regierungserklärung zum Ausstieg aus der Atomenergie tatsächlich zuhören. Ungewöhnlich ruhig, fast teilnahmslos, verfolgen die Abgeordneten die Rede des Kanzlers über ein Thema, das doch einst die Gemüter in der Bundesrepublik erregt und die Nation gespalten hat. Nicht alle, die seinerzeit heftig über das Für und Wider der Kernenergie stritten, waren tatsächlich an Energiefragen interessiert. Lange war das Thema jenseits aller sachlichen Argumente für viele auch ganz einfach ein Symbol: Der Kampf gegen die Atomenergie war identitätsstiftend. Das ist vorbei. Aber wenigstens als Anlass für das „erste große Rededuell“ zwischen dem Bundeskanzler und der neuen CDU-Vorsitzenden Angela Merkel sollte die Vereinbarung mit den Stromkonzernen über die Modalitäten des Ausstiegs gestern noch taugen. Doch auch dafür hat es nicht gereicht. Große Rededuelle hören sich anders an.
Angela Merkel arbeitet an ihrem Text und blickt konzentriert auf die Papiere vor sich, während Schröder spricht. Der liefert eine brave Rede ab, die der Opposition wenig Anlass zu bösen Zwischenrufen bietet – und auch keinen Grund für unwilliges Murren in den eigenen Reihen. Aus denen war dem Kanzler bedeutet worden, er möge bloß nicht triumphierend auftreten, um nicht die SPD-Abgeordneten und Grünen zu verärgern, denen es bis zum Abschalten des letzten Kernkraftwerks allzu lange dauert. So hält sich Schröder denn zurück. Den Konsens mit der Industrie bezeichnet er als fairen und vertretbaren Kompromiss. Beim Thema Sicherheit werde es „keinen Rabatt“ geben, betont der Kanzler und kritisiert die „fast an Hysterie grenzende Aufregung“ wegen der geplanten Errichtung standortnaher Zwischenlager: Es sei doch nur vernünftig, wenn „unnötige“ Transporte von Atommüll künftig unterblieben. Der Ausstieg aus der Atomenergie gehört nicht zu den Herzensanliegen von Gerhard Schröder. Die 20 Minuten lange Rede im Bundestag ist für ihn keine große Herausforderung. Das sieht für Angela Merkel anders aus. Als Umweltministerin hatte sie seinerzeit – nicht zuletzt mit dem Verbot von Castor-Transporten – zu erkennen gegeben, dass sie Sicherheitsbedenken gegen die Risiken der Kernenergie wenigstens in begrenztem Umfang Rechnung zu tragen bereit war. Auch war der Atomstrom für die ehemalige DDR-Bürgerin nie Anlass für einen Glaubenskrieg – anders als für große Teile der westdeutschen CDU: Jahrelang hatten sie den Kampf für die Kernenergie mit dem Kampf gegen „grüne Chaoten“ gleichgesetzt. Angela Merkel wandert also auf einem schmalen Grat, als sie ans Pult tritt – und sie rutscht ab.
Die CDU-Vorsitzende beginnt ihre Rede mit der Erinnerung an Gespräche, die sie mit Gegnern der Kernkraftwerke geführt hat: „Diese Menschen hatten große Erwartungen an den Regierungswechsel, und sie haben deshalb gesagt: Dieser Ausstieg muss sofort erfolgen.“ Jetzt wird es laut im Plenum. Gelächter in den Reihen der Koalition. Ob sie für einen Sofortausstieg plädieren will? Natürlich nicht. Sie will die Glaubwürdigkeit der Regierung in Frage stellen und nachweisen, dass die Vereinbarung mit der Industrie „irgendetwas aus taktischen und ideologischen Gründen umsetzt, was gerade noch vertretbar war“. Außerdem hält sie der Koalition vor, Zwischenlager bauen zu wollen, die noch vor kurzem als „unsichere Tennishallen“ kritisiert worden seien, und sie kündigt an, dass die Union die Vereinbarung „bei einem Regierungswechsel 2002“ wieder rückgängig machen werde. Zwischenfragen will Angela Merkel lieber nicht zulassen. Um die etwas wackelige Konstruktion der Rede nicht einstürzen zu lassen? „Ich finde, sie hat keinen Faden gefunden“, sagt eine Amtskollegin der CDU-Vorsitzenden, die sich die Rede als Besucherin im Bundestag angehört hat – Renate Künast, neue Parteichefin von Bündnis 90/Die Grünen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen