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Daheim im mutigen Wagnis

■ „die thede filmproduktion“ hat sechs Filme über den Alltag in Neu-Allermöhe gedreht

„Ein klassischer Fall von Nothammer-Vandalismus.“ Fachmännisch beurteilt der Polizeibeamte der Außenstelle Neuallermöhe den Schaden an der neuen S-Bahnstation. Sorgfältig sind alle mit der Hand erreichbaren Schmuckkacheln der Außenfassade eingeschlagen worden. Am Gesicht der „modernen Kathedrale“ ändert das indes nur wenig: Das streng geometrische Muster bleibt auch so erhalten.

Wenig später sieht man den Wachmann mit seinen Kollegen in der Amtsstube. Bunte Plakate hängen an den Wänden, Einladungen, Dankesbriefe, Hinweise auf den „Polizeikasper“. Ein Windspiel kündigt die Besucher an. „Und wenn mal alle ausgeflogen sind, drehen wir das hier um.“, erklärt einer der Beamten, während er umständlich an einem kleinen, an der Glastür befestigten Schild nestelt. Sprichts, steigt gemächlich auf sein Dienstrad und verschwindet in den Weiten von Hamburgs frisch bebautem Osten.

Sechs Kurzfilme hat die thede filmproduktion von März '99 bis heute in Neuallermöhe/West gedreht, die Dokumentation der bürgernahen Polizeiarbeit ist einer davon, der vierte. Film Nr. 1 ist die Ouvertüre, eine lose Sammlung von fremden Einschätzungen und subjektiven Eindrücken, die in den folgenden Filmen wieder aufgegriffen, vertieft und korrigiert wird. Auch die junge Russlanddeutsche, die die Tatsache, dass in Neuallermöhe fast 70% Aussiedler wohnen, zunächst mit den Worten „Es gibt zuviele Russen hier“ kommentiert, kommt später ausführlicher zu Wort: Der zweite Film zeigt sie als engagierte Lehrerin einer Volkstanztruppe, die fast ausschließlich von osteuropäischen Mädchen besucht wird.

Die thede filmproduktion entstand 1999 als Firma innerhalb des gemeinnützigen und knapp zwanzig Jahre länger existierenden Vereins die thede. Ergänzend zu dessen Aktivitäten (Seminare, Beratung, Filmverleih) sollen mit der hauseigenen Produktionsfirma neue Formen des dokumentarischen Arbeitens entwickelt und gefördert werden. Für die Doku-Serie 6 Filme für Neu-Allermöhe erhielt die thede dabei Gelder aus dem „Kunst im öffentlichen Raum“-Topf der Wohnungsbaukreditanstalt. Ein Einzel- und ein Glücksfall. Statt der obligatorischen Groß- und Kleinskulpturen wurde so die Entstehung eines facettenreichen Zeitdokuments gefördert, das den Bewohnern des Stadtteils nicht nur gewidmet ist, sondern sie direkt miteinbezieht. Jeder Film wurde nach Ende der Dreharbeiten in einem Zelt öffentlich vorgeführt.

Das Volumen des in den 70er Jahren angedachten, aber erst mit Beginn der 90er Jahre baureifen Neu-Allermöhe-Projektes ist einzigartig für eine europäische Großstadt, konstatiert der maßgeblich an der Planung beteiligte, zum Zeitpunkt der Aufnahmen jedoch bereits emeritierte Oberbaudirektor Egbert Kossak im dritten Film, der den Architekten gewidmet ist. Folgerichtig bezeichnet er die Konstruktion von städtischem Wohnraum für etwa 20.000 Menschen dann auch als „mutiges Wagnis“.

Der sechste Film kontrastiert die Vogelperspektive der Architekten durch das Portrait einer jungen Familie, die sich dort ein Reihenhaus gekauft hat. Weg vom Kiez, ins Grüne, lautet die Losung, auch wenn es nur für die nächsten zehn Jahre ist. Und während der junge Hausbesitzer darüber sinniert, was sich, wenn überhaupt, als das große Problem von Allermöhe herausstellen wird (Die Mücken? Der Wind!) besingt der Umzugshelfer und Ex-Romantische Rotenburgsortler Bernd Begemann sein Schreckenszenario vom Leben in der Vorstadt: Langeweile und sexuelle Katastrophen. Britta Peters

„6 Filme für Neu-Allermöhe“, heute, 18 Uhr, im Kinozelt am Curt-Bär-Weg 18, Neu-Allermöhe; weiterer Termin: 25. August, 20 Uhr, Marktstraße 6

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