: Wie klingt orange?
■ Dass Farben tönen, Puppen sprechen und Straßenlärm angenehm ist, zeigt Götz Lemberg mit seiner Rauminstallation „Klangtranstase“ in der Glocke
Schon für den Anfang muss man gute Nerven haben – die labyrinthischen Gänge nach dem Eingang in die Glocke werden immer enger, immer dunkler. Nicht jeder wird dazu bereit sein, sich nur tastend weiterzubewegen. Doch wir sind ja nicht in einem Krimi, sondern in der zehnteiligen Klanginstallation des Berliner Künstlers Götz Lemberg. Passieren kann also nichts.
Lembergs Ziel ist vielseitige Irritation. Nach der anfänglichen „Geisterbahn“ gelangt man ins Foyer. Und auch das ist nicht wiederzuerkennen: Eine auf Stelzen stehende, labyrinthisch gewundene „Liebeskammer“ gibt es da, 120 Zentimeter über dem Erdboden. Neben kleinen Videos und unbestimmbaren Klangteppichen sind Texte zur Liebe zu vernehmen, in die man eintaucht. Hier wie anderswo fällt gleich auf, dass Lemberg nichts überfrachtet. Das hat Vorteile, manchmal auch Nachteile – so im großen, mit 200 Puppen ausgestatteten Saal.
Lemberg wollte „diesen Raum akustisch umstülpen“, Verbotenes und Unterdrücktes hörbar machen: das sind Handys, Papierrascheln, Husten und derlei mehr. Außerdem geben die Puppen zurück, was das Publikum ihnen ins (Mikrophon)Ohr einflüstert. Das läuft alles etwas brav nacheinander ab.
In unseren hektischen Zeiten setzt Lemberg mutig auf etwas, was nur noch selten geleistet werden kann: sich einlassen. Und in der Tat verändert sich das Klima im großen Saal, wenn man sich Ruhe lässt, zuhört, zuschaut. Die hässlichen Puppen beginnen zu leben, wenn sie durchsetzt sind mit Pubikum, wenn sie das sprechen, was ihnen das echte Publikum geflüstert hat: „Jedesmal im Konzert ist es mir so langweilig“.
Auch auf andere Weise wird die Installation zu einer groß angelegten Studie über Wahrnehmung. So wird im Raum mit dem Namen „Orange“ gefragt, wie sich Farbe anfühlt und wie Stoffe klingen: Sechzehn von der Decke herabhängende Stoffbahnen erzeugen sechzehn verschiedene Klänge, vom etwas knalligen Leinen bis zur säuselnden Seide. Dieser Raum hat etwas Charismatisches, ebenso wie auch der gleißend „Weiße Raum“ am Schluss. Hereingelassen wird der Straßenlärm von der Domsheide, der zu einem seltsam „komponierten“, höchst angenehmen Geräuschpegel mutiert. Von der Journalistin, die am Boden hockt und mit ihrem Handy hantiert, weiß man im ersten Moment nicht, ob sie zur Installation gehört oder echt ist.
Rezipiert der Hörer? Rezepiert er nur das, was er kennt? Produziert der Hörer? In der Installation im Treppenhaus gibt es die „Blumenwiese“, auf der aus Blumentöpfen der verfremdete Satz „Ich bin eine Blume“ klingt: Lemberg hat sie von vielen Menschen sprechen lassen. Einer singt den Satz. Immer wieder gelingt es Lemberg, aus materialen Konfrontationen ungewöhnliche Spannungen herauszuschlagen – so das im Videogerät lodernde Feuer in einem Steinberg oder das Porzellanklo als Resonanzkörper für das Wasserrauschen.
Leitfaden für den Quereinsteiger Lemberg, der von Haus aus Historiker ist, ist nicht, uns etwas zu zeigen, sondern etwas herzustellen, das mit uns etwas macht: „Ich will normale Hörerwartungen unterlaufen“, sagte er im Vorfeld. Und das gelingt ihm zwar nicht überall gleichermaßen in den zehn Installationen in der ganzen Glocke, aber insgesamt schon.
Die Umsetzung einer solch riesigen Konzeption gelingt nicht ohne kräftige und ambitionierte MitstreiterInnen, und das war in diesem Fall die Geschäftsführerin der Glocke Ilona Schmiel, die als bekennende Gegnerin von kleinen, verschämt in irgendwelchen Ecken versteckten Klanginstallationen, Lemberg mitteilte: Nehmen Sie die ganze Glocke.
In Kooperation mit dem Musikfest ist hier ein Projekt gelungen, das einen neuen Akzent setzt auf den Stellenwert der altehrwürdigen Glocke. Dass Innovation nicht abgehoben sein muss, dass sicher neue Zuschauerschichten erreicht werden können, zeigt Götz Lemberg mit „Klangtranstase“: Der Titel meint einmal einfach „Klang“, dann „Trans“ im Sinne von Übergang und „Tase“ von „Ekstase“ im Sinne von besonderer Aufmerksamkeit. Ute Schalz-Laurenze
Bis zum 19. August in der Glocke: Sa+So 12-22 Uhr; Mo+Mi+Do 16-22 Uhr; Di geschlossen. Eintritt zwölf (erm. sechs) Mark
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