: Millionenloch beim Musical wächst
■ „Jekyll & Hyde“ braucht noch mehr Geld. Besucherflaute hielt auch im Juni an. Die Begründungen der Betreiber für das Millionen-Defizit provozieren heftigen Widerspruch
„Neues Millionenloch beim Musical“ meldete gestern Mittag Radio Bremen: Nicht nur acht Millionen Mark aus der Staatskasse benötige das Musical „Jekyll & Hyde“, sondern drei Millionen Mark mehr. René Meyer-Brede, Geschäftsführer des Musicals, gegenüber der taz dazu: „Es gibt nur das alte Loch.“ Er habe immer gesagt, dass zusätzlich zu den acht Millionen „cash“ auch die Gesellschafter einen Beitrag zum Sanierungskonzept leisten müssten. Der Größenordnung von drei Millionen Mark widerspricht er nicht. Es werde derzeit über Mietverzichte des Hauptgesellschafters und Gebäudeeigentümers Michael Arend geredet und anderes. Natürlich verlange die Stadt, wenn sie acht Millionen Mark beitrage, dass die Gesellschafter auch einen Beitrag zum Sanierungskonzept leisten.
Hinter den Kulissen wird jedoch nicht nur über die Höhe des Defizits debattiert. Umstritten ist auch, wie das Musical in nur 17 Monaten Spieldauer ein derart großes Minus einfahren konnte. Der „abrupte Umsatzeinbruch seit Ende April“, so Produzent Frank Buecheler, ist nicht der einzige Grund. Die bisherigen Erklärungen von Arend und seinem im Herbst 1999 eingesetzten Generalbevollmächtigten Meyer-Brede werfen nur neue Fragen auf und provozieren zum Teil heftigen Widerspruch.
Auf Meyer-Bredes Ankündigung, beim Marketing auf die Region Bremen zu setzen, kontert Peter Siemering, Chef der Touristikzentrale BTZ: „Regionales Marketing reicht nicht aus.“ Und die von Arend und Meyer-Brede lancierten Begründungen, Managementfehler in der Vergangenheit und fehlendes Kostenbewusstsein der alten Geschäftsführung seien für mindestens die Hälfte des Defizits verantwortlich, will Lutz Jarosch nicht auf sich sitzen lassen. Jarosch hat die Produktion zusammen mit Bue-cheler aufgebaut und ist im Herbst 1999 ausgestiegen. „Ich habe das Haus sauber hinterlassen“, sagt Jarosch auf taz-Anfrage. „Das Schiff ist zu einem Zeitpunkt ins Trudeln geraten, als schon längst die Verantwortung der neuen Leitung gegriffen hat.“
Nach seiner Sicht hat er sich wie von Anfang an geplant im Herbst 1999 aus dem operativen Geschäft zurückgezogen und ist seitdem nur noch Gesellschafter. Andere wollen wissen, dass eine überzogene Spesenabrechnung zu seiner Demission geführt hat. Immerhin:
Buecheler ist nach eigenen Angaben noch immer künstlerisch verantwortlicher Geschäftsführer – neben dem kaufmännischen Chef Michael Arend. Schon eine Ebene tiefer herrscht am Richtweg allerdings ein munteres Kommen und vor allem Gehen.
Antworten auf die Probleme der Gegenwart sind in der Vergangenheit zu finden. Seit Mitte der 90-er Jahre gibt es in Bremen Pläne, ein Musicaltheater zu bauen. Nachdem Buecheler und Jarosch nach jahrelangen Verhandlungen den Zuschlag bekamen, musste alles sehr schnell gehen. Das Problem: Die Produzenten fanden zunächst keine Investoren, die sich nennenswert am Aufbau des teuren Musicals beteiligen wollten – zumal die Kosten Jarosch zufolge von ursprünglich kalkulierten 12 bis 15 Millionen Mark auf 22 Millionen Mark gestiegen waren. Erst als Arend auch in die Produktion eingestiegen war, konnte es ein Jahr vor der Premiere richtig losgehen.
Für die Kostenexplosion sind Buecheler und Jarosch nach Angaben eines Insiders nicht allein verantwortlich zu machen. Unter anderem haben extremer Zeitdruck und das Drängen der Stadt die Kosten in die Höhe getrieben, sagt er. Internationale Ausschreibungen seien deshalb kaum möglich gewesen. Eine geplante Kooperation mit einem britischen Theaterbauer sei gescheitert. All das war intern bekannt: Die Gesellschafter mussten allen Ausgaben über 100.000 Mark zustimmen.
Auf bis zu fünf Millionen Mark beläuft sich das Defizit aus der Anfangszeit. Ursprüngliche Pläne, dieses aus dem laufenden Betrieb abzubauen, sind gescheitert. Die ParlamentarierInnen in den Wirtschaftsförderungsausschüssen, die dem als Darlehen deklarierten neuen Acht-Millionen-Mark-Zuschuss in den nächsten Tagen noch zustimmen müssen, werden dem Vernehmen nach von der HVG sogar erfahren, dass die Auslastung im ersten Jahr niedriger war als ursprünglich angegeben.
Wie hoch oder niedrig auch immer die genaue Zahl ist: Das hat Folgen. Denn der offizielle städtische Zuschuss an das Musical ist an die Auslastung gekoppelt. Bei 70 Prozent beträgt der Zuschuss 1,6 Millionen Mark, bei 50 Prozent steigt er auf 2,8 Millionen Mark. Und so weiter. Dabei gilt noch als offen, ob dieser Zuschuss an die Köpfe im Zuschauerraum gebunden ist oder daran, wie viel die BesucherInnen für ihre Karten bezahlt haben. Außerdem hat das Theater mehr Plätze als ursprünglich geplant. Die PolitikerInnen werden einige harte Nüsse zu knacken haben. Wenn sie denn wollen oder können. Denn die politische Kontrolle des Unternehmens „Jekyll & Hyde“ steht in keinem Verhältnis zu seinem Symbolwert.
Den Mietzuschuss an das Musical bewilligt das Wirtschaftsressort. Doch darüber hinaus ist die HVG über Tochtergesellschaften mit dem Musical verwoben. Es zählt zu den offenen Fragen, in welcher Höhe das Musical indirekt Marketing-Hilfe und direkt Zuschüsse oder Darlehen der HVG erhalten hat und ob sie zurückgezahlt wurden. Das sind Themen für den Aufsichtsrat, der die HVG in zurzeit zwei Sitzungen pro Jahr kontrolliert. Bislang stand die Musicalkrise da noch nicht auf der Tagesordnung. „Das Gremium beschäftigt sich mit großen Themen wie Messe oder Stadthalle“, sagt ein Mitglied des Aufsichtsrats.
Dabei ist die symbolische Bedeutung von „Jekyll & Hyde“ viel größer als die von Messe und Stadthalle. Das Musical sollte der Startschuss für die große touristische Offensive der Hansestadt sein und nach einem Jahr auf der geplanten Erfolgswoge der anderen Projekte wie Space Park, UniVersum und nicht zuletzt Expo mitschwimmen.
Das politische Verfahren sorgt inzwischen nicht mehr nur bei den oppositionellen Grünen und der FDP für Misstrauen. Wie die mehrfach korrigierten Auslastungszahlen zeigen, rücken die Verantwortlichen nur scheibchenweise mit der Wahrheit heraus. „Das erinnert an die Anfänge des Skandals um den Bremer Vulkan“, sagt ein Sozialdemokrat. Der Vergleich wirkt übertrieben. Aber die Angst vor dem Scheitern von „Jekyll & Hyde“ geht um. Christoph Köster/K.W.
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