piwik no script img

Purer Sex mit toten Juden

Wie die Bekleidungskette IPURI aus der Wannseekonferenz einen frivolen Witz macht

PUR ist der Name einer schwäbischen Deutschrockband, deren Musik so klingt wie ein Bausparvertrag mit Noten. PUR hat aus der schweigenden deutschen Mehrheit eine singende gemacht – mit Liedern, die vor intelligentem Leben auf diesem Planeten dringend warnen: „Komm mit ins Abenteuerland, der Eintritt kostet den Verstand“, heißt ihr erfolgreichster Refrain. Dieser äußerst geringe Obolus wird immer wieder gern entrichtet, von der Kapelle wie von ihren Fans. PUR ist der Soundtrack jener Normalität, nach der viele Deutsche im Brustton der Beleidigtheit verlangen.

PUR ist auch der Titel eines Gratismagazins aus Hamburg, das vierteljährlich neu in den Filialen der Bekleidungskette IPURI verteilt wird: ein Klamottenkatalog, allerdings einer mit dem Anspruch, Lebenshilfe in Sachen Kultur und Stil zu leisten. Welchen Dichter liest man in welchen Socken, welches Accessoire, welcher Schischi wird dringend benötigt zur Darstellung modischer Souveränität – solcher Kram. Der PUR-Katalog möchte seine Konsumenten – und darin ist er der gleichnamigen Band dann sehr ähnlich – Glauben machen, er zeige das pure Leben. Dabei klebt er bloß eine Pril-Blume an die nächste: „Speisen in Edelpuffs steigern den sexuellen Appetit“, „Aufgepasst: Porno-Kanäle im Pay-TV gibt es nicht überall“, „japanese girls spielen Verführung und Provokation, Lolita und Domina.“ All das klingt so schwiemelig wie die Mercedes-Benz-Reklame im Heft: „Ein kleines Schwarzes mit Ausschnitt kommt immer gut an.“ Solche Weisheit nennt Mercedes „Das Denken einer neuen Generation“. Denken ist hübsch gesagt.

Aufgeschäumte Banalitäten dieser Art gibt es an jeder Jeans-Ecke mit Slip-Abteilung. Sie wären nicht der Rede wert, wären sie nicht das Umfeld für das, was PUR zusätzlich zum Kulturgehupe im Angebot hat. Hausautor Uwe Kopf schreibt über „die erste Nacht mit der neuen Frau“. Anfangs ist es nur das angestrengte Geprahle, mit dem nicht wenige Männer ihre sexuelle Traurigkeit übertönen: „Mein Charme begünstigt Scham, wie Sokrates beherrsche ich die Kunst des Ausfragens und bringe die Frau zum Erröten, sie geht ständig auf die Toilette, denn ihre Nervosität und ihr Begehren treiben so wie Bier und Sprudel.“

Zu treiben wünscht es dann auch Uwe Kopf, der Sokrates mit Bier und Sprudel: „Ich will den Weibsteufel neben mir haben und dulde keine Passivität; die Frau muss mir keine Sauereien sagen, aber es muss laut sein im Bett, unsere Leidenschaft soll die Nachbarn aufwecken.“

Froh, wer nicht wohnen muss, wo Uwe Kopf den Fisch versenkt und damit die Welt behelligt. Kopf scheint selbst zu ahnen, wie halbseiden und halbsteif seine Geschichte ist. Er greift zu einem gern genommenen Kniff: Wenn einem der dünne Stoff ganz ausgeht, kann man immer noch Juden hineinziehen. Am besten ermordete Juden, am allerbesten die Schoah, das gibt den größten, den geilsten Effekt. Genauso macht es Kopf. Im Bemühen, damit die schlappe Beschreibung seines tatsächlichen oder erfundenen Sexuallebens anzuschärfen, kommt er im zwangslustigen Tonfall auf die Vernichtung der Juden zu sprechen: „Um die Heiligkeit der ersten Nacht zu achten, müssen die Partner das Beieinander auf mindestens vier, fünf Stunden hinausziehen, und zwischendurch will die Frau ein bisschen staunen und lachen, also erfreue ich sie mit Statistiken und sage: 65 Prozent der Deutschen meinen, die Wannseekonferenz habe im Zweiten Weltkrieg nicht die Vernichtung der Juden beschlossen, sondern Berliner Bademeister ausgebildet. 53 Prozent der Amerikaner meinen, Martin Luther King sei im Ku-Klux-Klan gewesen und von Sammy Davis jr. erschossen worden. Alles Lügen, die ich da erzähle, aber die Lügen sind süß, und die Frau fühlt sich geliebt und umsorgt in dieser ersten Nacht, und weil ich mit Wort und Tat für sie da bin; ich kümmere mich nicht nur um ihren Körper, sondern auch um ihr Herz.“

Die deutsche Frau, so Uwe Kopf sie kennt, hat ein Herz, das mit frivolen Witzeleien über die Wannseekonferenz erobert werden will. Judsüßer als in Uwe Kopfs Version hat die Auschwitz-Lüge selten geklungen.

WIGLAF DROSTE

Zitate:„Wie Sokrates beherrsche ich die Kunst des Ausfragens und bringe die Frau zum Erröten, sie geht ständig auf die Toilette.“ (U. Kopf)„Alles Lügen, die ich da erzähle, aber die Lügen sind süß, und die Frau fühlt sich geliebt und umsorgt in dieser ersten Nacht.“ (U. Kopf)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen