: Auf Kaffeefahrt nach Absurdistan
Wie ein Furz in der Ewigkeit: Misanthropische Lieder vom Krautrock-Veteranen und Dada-Erben Julius Schittenhelm
Der Liedermacher als Sinnstifter und Seelentröster – diese Formel geht bei Julius Schittenhelm nicht auf. Vielmehr erscheint die Wirklichkeit in seinen Songs so unwirklich, wie sie wirklich ist. Doch als Zyniker geriert er sich deshalb noch lange nicht. Lieber macht er weiter Lieder, die in keine Schablone passen: grotesk, skurril und rabenschwarz.
Vier Jahre feilte Schittenhelm an seinem neuen Album „Quarks bis Ethik“, das einer Kaffeefahrt nach Absurdistan gleichkommt, das heißt in die reale Welt. In seinen Chansons noirs irrt er durch Raum und Zeit, sinniert über den Menschen an sich und im Konkreten, beobachtet seine Zeitgenossen und ihre zersplitterte Wirklichkeit aus der Nah- und den Globus aus der Satellitenperspektive und versucht die disparaten Eindrücke irgendwie auf einen Nenner zu bringen. Was sich als Unmöglichkeit erweist. Zu weit klaffen die Quarks und die Ethik, humanitärer Anspruch und barbarische Wirklichkeit, menschliche Wichtigtuerei und kosmische Bedeutungslosigkeit auseinander.
1926 geboren, gehört Julius Schittenhelm zum Urgestein des bundesdeutschen Musik-Undergrounds und ist selbst dort immer ein Außenseiter geblieben. Der englische Rockmusiker und Deutschrockkenner Julian Cope zählt ihn zu den Gründungsvätern des Krautrock, obwohl Schittenhelm nie ein Rockmusiker, sondern immer eher ein Liedermacher war. Das hielt ihn allerdings Mitte der 60er-Jahre nicht davon ab, mit seiner akustischen Gitarre inmitten von oft zwei Dutzend Musikern zu sitzen, die an den gigantischen Jamsessions in München teilnahmen, aus denen Gruppen wie Amon Düül und Embryo hervorgingen. Ab und zu gab er dabei sogar einen seiner Songs zum Besten, in den 70ern produzierte er für das Deutschrock-Label Ohr Alben von Guru Guru, Embryo und Amon Düül 2. Für eine Weile gab er das Liedersingen sogar auf, weil er das Gefühl hatte, dass „es nicht mehr in die Zeit passte“.
Erst 1976 wagte er sich wieder mit eigenem Programm auf die Bühne, verweigerte sich aber der klassischen Kleinkunst, der linkskritischen Klampfenästhetik eines Franz-Josef Degenhardts oder Hannes Wader, und schöpfte lieber aus anderen Quellen: Morgenstern, Ringelnatz, Hugo Ball.
Wegen einer Arthrose im linken Daumen musste er Anfang der 90er das Gitarrespielen aufgeben. Im Alter von fast 70 Jahren sattelte er noch einmal um. Als er sich sicher genug auf dem Klavier fühlte, modelte er die Arrangements seiner Songs fürs Piano um, die er jetzt im exaltierten Sprechgesang vorträgt und mit ostinaten Akkordmustern unterlegt.
In seinen hinterhältigen Sprachgrotesken erscheint der Mensch als Blindgänger der Evolution, der sich in seiner hundertzwanzigtausendjährigen Geschichte ganze zwei Prozent über den Affen hinaus entwickelt hat. Die Welt somit? Nur ein Furz in der Ewigkeit. So kann man es sehen und kommt letztlich doch nicht daran vorbei, der eigenen Existenz irgend einen Sinn zu geben. Es muss ja nicht durch Bierdeckelsammeln sein. Man kann ja auch Lieder schreiben.CHRISTOPH WAGNER
Julius Schittenhelm: „Quarks bis Ethik“ (Schneeball)
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