: Duschen ist Revolution
■ 25 Jahre Roter Stern: Freizeitkicken im Wandel der Zeit / Von Minutenspielern, Exilanten und Streitereien, die einVierteljahrhundert lang dieselben bleiben
Rasen so weit das Auge reicht. Sonne, Stimmung im Kuhhirten und dahinter. Kicker überall. „Roter Stern? Das sind die ganz da hinten.“ Wo, ganz dahinten? Die da? Nee, die können's nicht sein. Zu knackig. Nach 25 Jahren Gemeinschaftskickens geht es nicht mehr so unzerflossen. Die Schlabberhosen da drüben? Nein, zu unfeierlich. Aha. Da sind die Sterne: in weißen Hemden oder gelben mit kleinen roten zweibeinigen Sternchen drauf. Oder in roten Shirts mit „CCCP“. Spielen Fußball wie schon seit einem Vierteljahrhundert. Aktive, Ehemalige, „Exilanten“, rund 50 Männer. Nur ein Schautäfelchen lässt schließen, dass hier was gefeiert wird. Später. Jetzt wird gespielt.
„Ich war jetzt fünf Minuten dabei und hatte schon einen Ballkontakt. Der zweite ist misslungen“, schnauft Helmut, mit 65 der Senior auf dem Platz. Seit 20 Jahren nicht mehr dabei. Auch seine Fußballtasche habe er 20 Jahre nicht mehr angerührt, gestern früh sie mit einem Griff aus dem Kellerregal gezogen. Nahm die alten Schuhe in die Hand, „und plötzlich ist die Sohle in hundert Stücke zerborsten.“ 20 Jahre überleben Weichmacher eben nicht. Und noch etwas war in seiner alten Tasche: Flugblätter. Bremer Bürgerinitiative gegen Atomenergieanlagen, Stadtteilgruppe Walle/Gröpelingen, lädt zum Maifest in die Gaststätte Greve. Bürgerinitiative gegen die Kohlevergasung bei Klöckner erklärt die „faulen Punkte“. Long long time ago.
„Man wollte sich ja auch ein
bisschen fit halten für Demos und so“, erklärt Heiner, einer der Gründer. „Damals“, sagt Heiner und es klingt ein bisschen wehmütig, „damals gab's ja noch Demos. Brokdorf.“ Er steht auf. „Ich geh' mal wieder zurück für fünf Minuten.“
Die Roten Sterne treffen sich jeden Sonntag. Um zehn. Das funktioniert. Die Sterne reden vom Flugblattverteilen und von früher und davon, „dass das halt noch so drin ist.“ Von wegen. „Viele haben ja jetzt auch Familie, die sind dann eh' schon wach“, erklärt ein anderer Stern. Aber Familie, „das konnte man ja früher kaum ansprechen, das war zu bürgerlich“, erinnert sich Christoph, einer der ersten mit Ehefrau und Kindern. „Die haben mich alle bemitleidet in meinem Eheknast.“ Inzwischen steht der dreikäsehohe Nachwuchs am Spielfeldrand, ein verschwitzter Papa dahinter, und Mama von ganz hinten ruft: „Uwe! Nimm ihn von da weg!“ Worauf der Kickervater ganz cool bleibt: „Gleich, wenn die wieder angreifen.“ Und sie greifen wieder an. Christoph brüllt: „Den machste rein, Holger!“ Holger, Ex-Stern im Berliner Exil, stürmt punktgenau am Ball vorbei, alle lachen.
Geradezu revolutionär sei dann die Einführung des Duschens gewesen. Seit acht oder zehn Jahren säubern sich die Sterne nun nach ihrem Training. „Das habe ich durchgesetzt“, sagt Christoph, der ansonsten stellvertretender Bürgermeister in Wildeshausen ist. Ob es gegen diese kleine Revolution große Widerstände gab, das lässt er offen, schreit stattdessen: „Mach ihn rein, bittebitte!“ Die rotgesternte Meute fliegt heran, irgenwo dazwischen das runde Leder, der Torwart in Lilablau wedelt mit den Handschuhen und der Ball fliegt am Tor vorbei.
Es ist aber nicht so, dass den Sternen viel misslingt. Es gibt schöne Tore, Szenen im Strafraum, die zittern lassen, und Stürmer, die alles geben. Die Kickerei nehmen sie ernst, aber nicht „bierernst“. Sie spielen ohne Schiedsrichter und gefoult wird höchstens „aus körperlichem Unvermögen“. „Kicken mit Leidenschaft“, sagt Ralf. Er ist der einzige Doktor in dem ganzen überwiegend akademischen Haufen. Lebt in Frankfurt, kickt in Bremen. Immer sonntags um zehn, kein Problem. „Viel bizarrer sind die Tage, an denen ich nicht spiele. Da fehlt was.“ Mit 35 ist er einer der jüngeren Sterne, hat nicht die bewegte Protestvergangenheit wie viele seiner Teamkollegen, aber „natürlich auch einen politischen Hintergrund, den haben wir ja alle.“ Links-alternativ. Schließlich gab es die Roten Sterne bereits in den 20-ern, auch sie trainierten schon hinterm Kuhhirten. Nach 1933 war erstmal Schluss mit der roten Kickerei. Bis 1975 ein paar Linke den alten Namen zu ihrem neuen machten. „Lustig ist“, sagt Ralf, „dass die, die schon 25 Jahre zusammen sind, sich immer noch über dasselbe streiten. Zum Beispiel Pelle. Pelle schießt immer drüber. Und immer meckern die anderen. Seit 25 Jahren.“ sgi
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen