: Nur einer bleibt übrig
In der Mongolei verliert die bisherige Regierungskoalition bei den Wahlen alle Abgeordneten bis auf einen. Erdrutschsieg für Ex-Kommunisten
aus Ulan BatorRENATE BORMANN
Die dritten freien Wahlen in der Mongolei haben die Ex-Kommunisten der „Mongolischen Revolutionären Volkspartei“ (MRVP) erdrutschartig gewonnen. Wie die Wahlkommission gestern in der Hauptstadt Ulan Bator mitteilte, errang die MRVP 72 der 76 Sitze im Parlament, dem Großen Staatskhural. Je einen Sitz gewannen die bisher regierenden Nationaldemokraten, die Demokratischen Neuen Sozialisten, das Bündnis Bürgermut – Die Grünen und ein Unabhängiger. Die bisher mitregierenden Sozialdemokraten gingen leer aus. Da acht Sitze zur Fraktionsbildung nötig sind, kann die MRVP ohne nennenswerte Opposition regieren. Die Wahlbeteiligung betrug 76 Prozent.
Bei den Verlierern ist das Entsetzen groß. Bis auf Janlavyn Narantsatsralt, dem 1999 aus dem Amt gedrängten Ex-Ministerpräsidenten, fielen alle Prominenten der bisherigen Regierung durch. Mit der Abwahl der seit 1996 amtierenden Koalition aus National- und Sozialdemokraten drücken die Mongolen ihre Unzufriedenheit über die wirtschaftliche und soziale Situation aus. Die in vier Jahren von vier verschiedenen Ministerpräsidenten geführte Regierung hatte keine klare Linie. Sie vernachlässigte die Bedürfnisse der nomadischen Landbevölkerung und der Städter zu Gunsten einer kleinen Gruppe von Unternehmern und Politikern.
Ein Drittel der Mongolen lebt heute unterhalb der Armutsgrenze. Der Privatisierung der Industrie fielen 80 Prozent der kleinen Unternehmen zum Opfer. Inoffiziell erreicht die Arbeitslosigkeit 30 Prozent. Die Auslandsverschuldung liegt jetzt bei 750 Millionen US-Dollar, das Außenhandelsdefizit stieg im laufenden Jahr auf 67,2 Millionen. Betrugs- und Bestechungsaffären fügten dem Ansehen der Regierung weiteren Schaden zu.
„Es gibt keine Alternative zu Demokratie und Marktwirtschaft“, sagte der MRVP-Vorsitzende und voraussichtliche Ministerpräsident, Nambaryn Enkhbayar. „In den Außenbeziehungen wird sich nichts Wesentliches ändern. Bei Gesundheit und Bildung werden wir mehr investieren. Die Religionsfreiheit werden wir nicht antasten. Aber natürlich bevorzugen wir eine Gesellschaft, die auf ihrer traditionellen Religion, dem Buddhismus, beruht“, sagte der 42-Jährige noch in der Wahlnacht. Seine MRVP gehört inzwischen zur Sozialistischen Internationale.
Noch vor vier Jahren wurde das Wahlverhalten vieler Familien und ganzer Siedlungen vom Familienoberhaupt oder einer einflussreichen Person bestimmt. In diesem Jahr trafen zur Verblüffung der Alten die Jungen eigene Entscheidungen. Die 76-jährige Khandshidmaa konnte es am Wahlsonntag nicht fassen, dass ihre fünf Kinder eine andere Partei als die Eltern bevorzugen. Ihr Sohn Batbayar sieht die Entwicklung positiv: „Die meisten Mongolen sind nicht älter als 30 Jahre. Wir werden die neuen Möglichkeiten zu unserem Vorteil nutzen. Unser Reichtum liegt doch noch unter der Erde“, meinte er in Anspielung auf die Bodenschätze des Landes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen