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Keiner will Straßen

Verfassungsgericht entscheidet über 4.700 km: Berlin darf teure Bundestraßen nicht einfach an Länder abtreten

KARLSRUHE taz ■ Das Bundesverkehrsministerium kann Bundesstraßen, die ihre Bedeutung für den überregionalen Verkehr verloren haben, nicht einfach per einseitiger Weisung zur Landesstraße herabstufen. Dies entschied gestern das Bundesverfassungsgericht in einem Bund-Länder-Streit. Der Bund habe damit seine Zuständigkeit überschritten.

Bundesweit sollen 5.800 Kilometer Bundesstraßen zu Landesstraßen zurückgestuft werden, weil sie parallel zu Autobahnen verlaufen und nach Ansicht der Bundesregierung kaum noch Bedeutung für den überregionalen Verkehr besitzen.

Der Fernverkehrsanteil liege bei solchen Parallel-Bundesstraßen „weit unter zehn Prozent“, betont der Bund. Die Abstufung der Straßen ist für den Bund vor allem aus finanziellen Gründen interessant. Schließlich ist er für den Unterhalt der Bundesstraßen zuständig, während für die Landesstraßen die Länder zu sorgen haben. Nach Zahlen des Bundesverkehrsministeriums geht es um einen jährlichen Unterhaltsbedarf in Höhe von insgesamt 470 Millionen Mark.

Kein Wunder, dass um jede einzelne Straße gerungen wird. Bisher wurden sich Bund und Länder nur über 1.100 Straßenkilometer einig. Die Abstufung 4.700 weiterer Streckenkilometer Bundesstraße sind noch umstritten.

In einem Pilotverfahren aus Schleswig-Holstein musste jetzt das Bundesverfassungsgericht klären, ob der Bund die Abstufung einfach mit Hilfe seines Weisungsrechts durchsetzen kann, wenn keine politische Einigung möglich ist. Konkret ging es um die B 75 von Hamburg nach Lübeck, die parallel zur Autobahn A 1 verläuft.

Karlsruhe erkannte nun zwar an, dass die Länder bezüglich der Fernstraßen in Auftragsverwaltung für den Bund tätig werden. Allerdings erlaube das damit verbundene Weisungsrecht dem Bund keine Eingriffe in Landeszuständigkeiten.

So sei auch eine „Abstufung“ von Bundesstraßen auf diesem Wege nicht durchsetzbar, denn dies verlange „zwingend auch die Einstufung in eine Straßenklasse nach Landesrecht“, heißt es in der gestrigen Entscheidung des Zweiten Senats.

Der Bund hat nun zwei Möglichkeiten: Entweder er einigt sich jeweils mit den Ländern über die Abstufungen oder er „entwidmet“ überzählige Bundesstraßen. Letzteres würde bedeuten, dass die Straße solange abgesperrt bleibt, bis das zuständige Land entschieden hat, ob und in welcher Form es die Straße übernehmen will. (Az.: BvG 1/96) CHRISTIAN RATH

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