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Enttarnte Beobachter

Das Projekt „Aussendienst“ will mit seinen acht Werken die Stadt für die Kunst zurückerobern  ■ Von Hajo Schiff

Hunde haben dieser Tage schlechte Karten. Doch die arabischen Windhunde, die zur Werbung für das Kunstprojekt Aussendienst von den Plakaten gucken, sind weniger aggressiv als von nervöser Aufmerksamkeit und leicht verspielt. Vielleicht doch ein gutes Logo für Bestrebungen, den öffentlichen Raum von den Gassigehern, Machtfuzzis und Kaufrauschsüchtigen zurückzuerobern und wieder mit Kunst zu besetzen.

Ein Hauptproblem bei „Kunst im öffentlichen Raum“ ist der Vorwurf der „Drop-off-Sculpture“, eines Kunstprodukts, das den Bürgern über Nacht vor die Nase gesetzt wird, weil ein Künstler einen schönen Ort gefunden hat. Wie die meisten ernst zu nehmenden Projekte, will das Hamburger Programm so etwas möglichst vermeiden. Es ist durchaus von ironischem Charme, wenn Thomas Stricker nun im Alstervorland einen Meteoriten platziert. Damit seine palladiumveredelte Beton-skulptur aber nicht wie auf höheren Wunsch von außerirdischen Außendienstleitern abgelegt erscheint, arbeitet der Schweizer schon seit Wochen mit Hilfe vorü-berkommender Passanten am Aufstellungsort in seiner kuppelförmigen Meteoritenwerkstatt an der Herstellung der Skulptur: Ein Prozess, der fast so wichtig ist wie die demnächst fertige Arbeit.

Aussendienst heißt der neue, acht Arbeiten umfassende Abschnitt des Programms „Kunst im öffentlichen Raum“, das in keiner Stadt schon so lange und so konsequent verfolgt wird wie in Hamburg. „Aussendienst“ als Bezeichnung für ein künstlerisches Engagement, das nach anderen Regeln funktioniert als der Innendienst, den die Künstler für die Museen leisten. Denn hier geht die Kunst zur Öffentlichkeit, nicht umgekehrt. Und deren Interesse ist nicht leicht zu gewinnen.

Statt selbst betrachtet zu werden, guckt die Installation „Vedere“ von Bogumir Ecker die Betrachter an. Sechs Überwachungskameras hat der Hamburger Professor auf dem Burchardplatz einer vom Verfassungsschutz dort platzierten hinzugesellt: Versteckte Realität wird als Skulptur zur Kenntlichkeit gebracht. Wilder ist die Kritik von „Park-Fiction“-Heros Christoph Schäfer, der einen kruden Film über die Kommerzialisierung der Innenstädte gedreht hat und mit dem antiästhetischen Produkt das Metropolis wieder in ein Non Stop-Kino rückverwandelt.

Subtil schleicht sich dagegen der Zynismus des nach barocken Vorbildern erstellten „Weltgartens“ ein, den der New Yorker Ronald Jones an den Gleisen neben dem Museum für Kunst und Gewerbe anlegen lässt: Dessen Vorbild ist eine auf Aufklärungsbildern dokumentierte gleichartige Anlage gleich neben den Krematorien in Auschwitz. Die von den Passanten schon jetzt sehr geschätzten Palmen auf einer Verkehrsinsel (Tita Giese) gehören ebenso zum Aussendienst-Projekt wie die Leuchtboje, die kleinen Bauwerke in Bierdosenform von Manfred Pernice auf der „Kunstmeile“ oder der Rover, den Roman Sigmer von einem Stuntman mit Tempo 45 zwischen zwei Betonwänden auf der Kehrwiederspitze einparken ließ.

Zum Pflichtprogramm gehörtdas „Car Wreck Cinema“, das die niederländisch-chinesische Australo-indonesierin Fiona Tan in der Stockmeyerstraße zwischen Kunst-verein und Freihafengrenze, zwischen Wasser und Eisenbahn hat aufbauen lassen: Ein kulturelles Fossil, ein in nostalgischer Erinnerung absterbendes Autokino, zu dem man kein Auto mehr mitbringen muss, das aber Mobilität durch zwei Leinwände gewinnt. So ist es möglich, in 50 Schrottkisten täglich um 22.30 Uhr einen Film durch die Frontscheibe und einen anderen im Rückspiegel zu sehen, während die vorbeifahrenden ICEs Teil des komplexen Eindrucks werden. Aufgrund des kostenaufwendigen Kinobetriebs kann dieser dekadente Abgesang auf das letzte, so unglaublich bewegungshungrige Jahrhundert nur bis Ende Juli betrieben werden.

„Aussendienst, Phase 1“, bis 1. Oktober; Filmprogramm Schrottautokino, Videodokumentation, Publikationen etc. im Informa-tionszentrum im Kunstverein, Klosterwall 23, und im internet: www.aussendienst.hamburg.de ; Geführte Rundgänge: samstags 14 Uhr ab Kunstverein; Katalog zu den neuen und älteren Arbeiten: 20 Mark; Gespräch mit den Kuratoren: 12. Juli, 19 Uhr, Kunstverein.

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