Ein jedes Ding an seinem Ort

Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein und sitzen Sie gerade: Die Britpop-Band Radiohead spielte im Sendesaal des SFB

Es gibt Regeln. Auch im Musik-Business. Zuerst kommt die Single und der Clip für MTV, dann das Album, schließlich folgt die Tour, vorzugsweise in großen Hallen oder auf Festivals (im Sommer). Und nach zwei Jahren beginnt der Turnus wieder von neuem.

Radiohead haben es gerne ein wenig gemütlicher. Und authentischer. So kommt es, dass Radiohead auf Tour gehen. Einfach so. Keine neue Platte, keine PR-Arbeit. Und eine Single ist auch nicht in Sicht. Für die Zukunft hat man sich das so gedacht: Um den Output zu erhöhen und das Leben zu erleichtern, sollen unregelmäßige Aufnahmesessions zwischen den Konzerten stattfinden. Auf ähnliche Weise sind in den drei Jahren, die seit „OK Computer“ vergangen sind, 32 Songs fertig geworden. Der Nachteil: Jeder der neuen Songs ist inzwischen in mehreren Versionen im Internet zu bekommen. Dennoch ist dieses vierte Album, dass dann doch im Oktober erscheinen soll, eine der am meisten antizipierten Veröffentlichungen dieses Jahres. Und so wie es aussieht, kommen Radiohead nun dort an, wo man sie immer haben wollte. Punk und Britpop liegen weit hinter ihnen. Das hier ist Kunstmusik, und ganz folgerichtig finden die meisten der Gigs ihrer aktuellen Tour in bestuhlten Arenen satt.

Auch in Berlin bekamen Radiohead höhere Weihen: zwei Konzerte im Großen Sendesaal des Sender Freies Berlin. Dass man nicht gleich in die ganz kleinen Clubs gegangen ist, liegt wohl am Dienstleistungdedürfnis gegenüber den alten Fans: „Crowd pleasers“ wie My Iron Lung oder Airbag erinnern noch daran, dass hier jene Band aufspielt, die einst mit dem Pubertäts-Hymnus „Creep“ die Festivals beglückte. Die neuen Songs, allen voran „Egyptian Song“ und das endlose „Everything In Its Right Place“, sind von eher zurückhaltender Intimität, ohne die ehemals typischen Gitarren-Eruptionen und das manchmal schwer im Magen liegende Pathos, aber auch ohne Chartqualitäten: ungerade Grooves, repetitive Strukturen, kryptische Texte – die Verfeinerung geht weiter.

Jedenfalls hat man die Zeit auch genutzt, um ein paar neue Instrumente spielen zu lernen. Jonny Greenwood hat zwar nicht, wie angekündigt, die Gitarre im Schrank gelassen. Doch Kontrabass, Klavier und immer mehr auch Elektronik prägen das neue, manchmal fast kammermusikalische Klangbild der Band. Thom Yorkes Mikrophonverschleiß ist bekannt. Diesmal geht seine körperlose Psychopathenstimme gelegentlich im ansonsten transparenten Mix unter.

Wie schon in den vorangegangenen Konzerten gibt es Probleme mit der Technik. „Hello! Hello!“ – manisch haut Yorke auf das stumme Mikro ein. Auf der Bühne ist der hyperaktive Sänger launisch und angespannt: Seine Bühnenpräsenz ist die des grotesk zuckenden „Paranoid Android“. Überhaupt scheinen willentlich herbeigeführte Haltungsschäden so etwas wie eine Invariante britischer Gitarrenbands zu sein.

Irgendwann an diesem großartigen Abend berichtet Thom Yorke von einer Begegnung mit einem Unbekannten, der in einer Pariser Bar immer wieder an seinen Tisch kam und sich beschwerte, dass Radiohead via MTV permanent in sein Wohnzimmer einfalle. Es scheint, als gäben sich Radiohead alle Mühe, diesen Mann von seinen Qualen zu befreien. SEBASTIAN HANDKE