: Die Rente bittet zur Kasse
Auch freiberufliche Lehrer müssen in die Rentenkasse einzahlen. Die wenigsten wissen das und sorgen privat vor. Doch die BfA besteht auf Nachzahlungen. Damit der Streit nicht eskaliert, treffen sich heute Gewerkschaft und Ministerium zum Gütetermin
von PETER HILLEBRAND
Fremdsprachenlehrer, Dozenten an Volkshochschulen und Golftrainer sind verärgert über die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). Bis vor kurzem dachten sie, wer auf Honorarbasis arbeite, habe mit der staatlichen Rentenkasse nichts zu tun. Die 34-jährige Nicola Pierre unterrichtet seit 1995 als freiberufliche Honorarkraft bei den Kölner Ford-Werken Englisch.
Sie ist privat krankenversichert und zahlt als Altersvorsorge in eine Lebensversicherung. Im Dezember teilte ihr die BfA mit, als selbstständige Lehrerin sei sie pflichtversichert und müsse die Beiträge der vergangenen vier Jahre nachzahlen: 29.180 Mark.
Tatsächlich gibt es seit 1913 ein Gesetz, das in Vergessenheit geraten war (siehe Kasten). Zu Kaisers Zeiten traute man den Hauslehrern und Gouvernanten nicht zu, aus eigener Kraft für das Alter vorzusorgen. Wer aber ist heute „selbständiger Lehrer“? Die BfA: „Der Lehrbegriff beinhaltet jegliches Übermitteln von Wissen, Können und Fertigkeiten“, auch „Unterweisung in körperlichen Übungen und mechanischen Tätigkeiten“. Damit ist das Spektrum von Computerkursen über Yoga bis Sport abgedeckt.
Die meisten Betroffenen wissen nicht, dass sie in die Rentenkasse einzahlen müssen. Woher auch? Selbst Mitarbeiter der BfA gaben falsche Auskünfte, rieten sogar zur privaten Altersvorsorge. Der Bundesrechnungshof bemängelte 1995, die BfA sei ihrer Aufgabe, „die Versicherungspflichtigen vollständig zu erfassen und von ihnen Beiträge zu erheben, bisher nicht ausreichend nachgekommen.“ Die Kritik hatte Folgen. Die BfA übernahm 1999 von den Krankenkassen „das Prüfgeschäft“ in den Betrieben und darf jetzt auch die Honorarrechnungen der Selbständigen einsehen. In Golfclubs und Volkshochschulen wurden sie bereits fündig. Der Kreis der Betroffenen ist unüberschaubar groß. Niemand weiß, für wie viele der 189.000 Dozenten an den Volkshochschulen das Gesetz zutrifft. Wer mehr als 630 Mark im Monat verdient, müsste davon ca. 20 Prozent an die BfA abführen, unabhängig davon, ob er bereits sozialversichert ist.
Das „Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit“ schuf die neue Kategorie der „arbeitnehmerähnlichen Selbständigen“, die nicht an die BfA zahlen müssen, wenn sie privat vorgesorgt haben. Viele Lehrer mit nur einem Auftraggeber denken, sie gehören in diese Kategorie, und beantragen bei der BfA die Freistellung. Wie der Englischlehrer Robby Burns. Er bezieht bereits eine Rente der Royal Air Force. Als er erfuhr, er solle 20 Prozent seines Honorars abführen, gab er den Job auf und ging zurück nach England. Laut einer Umfrage der organisierten Englischlehrer wollen zwei Drittel bei dieser Abgabenlast Deutschland verlassen.
Um als Ausländer überhaupt einen Anspruch auf eine deutsche Rente zu erwerben, muss man mindestens fünf Jahre lang einzahlen. Wer vorher Deutschland verlässt, kann zwar seine Beiträge zurückfordern, bekommt aber nur die Hälfte erstattet, obwohl er sowohl Arbeitgeber- wie Arbeitnehmeranteil eingezahlt hat.
Viele Lehrer sehen diese Regelung im Widerspruch zum EU-Recht und wollen in Luxemburg klagen. Beim Bundessozialgericht steht eine Entscheidung über die Klage des Kölners Rüdiger Mischkowski an. Bei ihm geht es um 70.000 Mark.
Die Proteste brachten Bewegung in die Sache. Die BfA erklärte bereits, dass sie auf Nachzahlungen für die Zeit vor 1999 verzichte, wenn eine private Vorsorge für die selbstständige Lehrtätigkeit nachgewiesen werde. Weiter gehende Änderungen könnten aber nur vom Gesetzgeber beschlossen werden.
Heute wird die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) den Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium Klaus Achenbach treffen. Die Gewerkschaft will vorschlagen, die selbstständigen Lehrer analog zur Künstlersozialkasse zu versichern. Da die dort versicherten Freiberufler nur den Arbeitnehmeranteil bezahlen – den Arbeitgeberanteil teilen sich die Auftraggeber und der Staat – müssten für die Lehrer deren Auftraggeber und der Staat zur Kasse gebeten werden. Der Verband der Volkshochschulen unterstützt diesen Vorschlag.
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