: Pastorales Bewusstsein
John Cage in bäuerlichen Verhältnissen: Am Wochenende reist die Fangemeinde der Neuen Musik zum Festival „Randspiele“ ins nordöstlich von Berlin gelegene Zepernick
Mitte der Fünfzigerjahre forderte der Situationist Guy Debord eine Kritik der städtischen Geografie. Man habe die Psychogeografie als ideologiekritische Instanz bisher grundlegend vernachlässigt!
Tatsächlich hat man Urbanität mittlerweile als ideologisch entlarvt, zu einer psychogeografischen Kartografie des Ländlichen hat es bislang allerdings nicht gereicht. Vielleicht schreckt der gemeine Politologe vor dem Forschungsgegenstand der öden Pastorale zurück. Vielleicht glaubt man aber auch, in der vermeintlichen Naturwüchsigkeit der Weiler und Dörfer kein notwendig falsches Bewusstsein entdecken zu können.
Das Neue-Musik-Festival „Randspiele“ nun hat sich an der Grenze zur Stadt angesiedelt. Allenfalls die aufgerissene Hauptstraße erinnert im nordöstlich von Berlin gelegenen Zepernick an die marktschreierische Dynamik der benachbarten Hauptstadt. Die Veranstalter kokettieren durchaus mit ländlicher Unbedarftheit und Provinzialität. Komponist und Mitorganisator Helmut Zapf etwa lässt sich „bäuerliche Verhältnisse“ in die Biografie schreiben. Und in jovialem Understatement betont man die regionale Verbundenheit der Konzerte.
Man täuscht damit leichtfertig darüber hinweg, dass es den „Randspielen“ in Zepernick auch in diesem Jahr geglückt ist, das schlanke Budget mit Engagement und Kompetenz zu überwinden. Zum achten Mal finden die „Randspiele“ an diesem Wochenende in der Zepernicker Sankt-Annen-Kirche statt. Mit UnitedBerlin (9. 7.), den Maulwerkern (8. 7.) und dem Elektroakustischen Studio der Akademie der Künste (7. 7.) hat man Ensembles bzw. Institutionen gewinnen können, deren Bedeutung weit übers Regionale hinausstrahlt.
Das Festival leistet darüber hinaus Beiträge zum 70. Geburtstag des deutschen Cage-Adepten Dieter Schnebel und ehrt einen der wichtigsten Komponisten der ehemaligen DDR, Georg Katzer, mit einer Uraufführung zu dessen 60. Geburtstag.
Seine Ausstrahlung verdankt das Festival aber wesentlich der Abwesenheit angestrengten Hipstertums. Stattdessen setzt man gezielt auf verschwommene Amorphität. Das gilt im gewissen Maßen auch für die Musik selbst: Denn mit Zapf, Katzer und Lutz Glandien sind drei Komponisten aus der ehemaligen DDR vertreten, denen gelegentlich einen Mangel an formaler Konkretisation nachgesagt wurde. Dass sich dieser Aspekt natürlich auch weniger pejorativ, nämlich als Klangsinnlichkeit, ansprechen lässt, sei an dieser Stelle nur nebenbei bemerkt.
Die Programmgestaltung verzichtet in vielen Fällen auf die geschlossene Form des klassischen Konzerts. Ein Stummfilm von Jochen Kraußler, „per zepernum mobile“, der im Rahmen des Festivals seine Uraufführung erfährt, wird gleich mehrfach gezeigt und dabei von verschiedenen Ensembles jeweils musikalisch neu ausgestattet. Die Maulwerker siedeln ihren Auftritt mit Barbara Thuns Stück „DklM 5 + 1“ (nach Andersens „Seejungfrau“) an der Schwelle zwischen Schauspiel, Improvisation und musikalischem Vortrag an. Das Festival schließt am Sonntagabend mit einer Aufführung des Streichsextetts „Verklärte Nacht“ von Arnold Schönberg.
Sollte Zepernick als weißer Fleck der psychogeografischen Kartografie zuvor unglücklicherweise an Kontur gewonnen haben: Die süßliche, spätromantische Harmonik des jungen Schönbergs wird all das leichten Herzens verwischen.
BJÖRN GOTTSTEIN
Bis zum 9. Juli, Fr. ab 20, sonst ab 17 Uhr, Sankt-Annen-Kirche, Zepernick. Infos unter www.randspiele.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen