: Kein Grund zur Traurigkeit
Auch gestern blieb Erik Zabel wieder der ersehnte Etappensieg bei der Tour de France versagt, doch der 30-Jährige hofft darauf, dass die Berge seine sprintstarken Konkurrenten schwächen
von FRANK KETTERER
Heute wäre ein guter Tag. 30 Jahre alt wird Erik Zabel da, und mehr als alle Geburtstagstorten dieser Welt würde den Mann aus Unna in höchste Entzückung versetzen, wenn ihn die Konkurrenz endlich wieder einmal als Erster über den Zielstrich einer Tour-Etappe fahren ließe. Im letzten Jahr hat er das nicht geschafft, im vorletzten ebenso nicht, und auch bei den Sprintankünften der aktuellen Ausgabe der Großen Schleife war bisher stets mindestens einer da, der sein Vorderrad noch vor dem schnellen Mann von der Telekom über den weißen Pinselstrich zu schieben wusste.
Am Sonntag in Loudon hieß der Etappensieger Tom Steels, am Montag in Nantes gewann der Belgier vom Team Mapei gleich nochmal, am Mittwoch, einem Tag nach dem Mannschaftszeitfahren, schließlich ließ sich Zabel von seinem Landsmann Marcel Wüst die Wurst vom Brot nehmen, was ihn ganz besonders ärgerte. „Ich dachte, ich hätte es endlich geschafft, nachdem ich Tom Steels auf der Zielgeraden hinter mir gelassen hatte. Da habe ich nicht mehr bis zum Zielstrich durchgetreten, das war mein Fehler“, haderte Zabel mit sich selbst und darüber, dass er sich ganz offenbar zu früh gefreut hatte.
Prinzipiell möglich wäre ein Erfolg allemal gewesen, weil das Feld in allen drei Fällen zusammen auf die Zielgerade eingebogen war und auch die Telekoms stets vorne mit dabei waren und somit nach Plan operieren konnten: Alberto Elli fährt 1.000 m vor dem Ziel an die Spitze, Steffen Wesemann übernimmt nach 400 m, Gian-Matteo Fagnini zieht schließlich den endgültigen Sprint an und räumt den letzten Weg frei für Zabel, der dann nur noch zu gewinnen braucht. So ist es geplant, so wurde es gemacht, nur mit dem Gewinnen hatte es eben noch nicht geklappt für die Telekoms. Dafür holte sich das Team gestern auf der 6. Etappe von Vitré nach Tours das Gelbe Trikot. Der Italiener Alberto Elli gehörte einer Ausreißergruppe an, deren Spurt der Niederländer Leon van Bon für sich entschied, und löste Laurent Jalabert als Spitzenreiter ab.
Für Zabel stehen also bisher weiterhin die Plätze drei, drei und zwei zu Buche, was nun wirklich kein schlechtes Ergebnis für den Mannschaftskapitän vom Team Telekom darstellt, aber eben auch kein richtig gutes. Richtig gut ist nur ein Etappensieg, zumal für die Männer aus der Abteilung Sprint. Vielleicht aber ist es ja auch genau dies: dass Zabel gar kein reiner Sprinter mehr ist, sondern längst weit mehr kann als nur auf den letzten Metern powern ohne Ende. Das Amstel Gold Race hat er in diesem Jahr gewonnen, dito Mailand–San Remo, beides Klassiker, die was zählen in der Welt der Pedaleure. Ebenso wie der Weltcup, den der Mann aus Unna anführt nach fünf Rennen. Solche Dinge schafft man nicht nur mit ein paar schnellen letzten Metern, dazu muss man schon ein verdammt kompletter Fahrer sein. Vielleicht hat Zabel auf dem Weg dorthin ja ein wenig an Schnelligkeit eingebüßt, dieses ganz kleine Bisschen nur, das ihm bei der Tour zuletzt gefehlt hat. Und auch ein wenig an Kraft, weil die Saison schon lang für Zabel ist und er weit mehr Rennen in den Beinen hat als beispielsweise Steels oder Wüst.
„Im Moment ist Tom Steels einfach schneller, das muss ich akzeptieren“, sagt Zabel. „Steels hat zur Zeit einfach die beste Grundschnelligkeit“, pflichtet auch Olaf Ludwig, selbst dreimaliger Etappensieger und nun Pressesprecher beim Team Telekom, bei. In Panik verfallen sie bei den Bonner Fernmeldern dennoch nicht, schließlich ist die Tour noch lang – und schwer. „Eriks Tage kommen noch“, glaubt entsprechend Olaf Ludwig, „keinen Grund zur Traurigkeit“ sieht auch Walter Godefroot. „Erik arbeitet sich nach vorne“, ist sich der Teamchef der Telekoms sicher.
Zumal ab Montag die Berge kommen. Dann wird Erik Zabel zugute kommen, dass er kein reiner Sprinter mehr ist, sondern längst auch andere Anforderungen des Radsports bewältigt. Auf jeden Fall wird es der Deutsche leichter über Pyrenäen und Alpen schaffen und weniger Kräfte im Gebirge lassen als der Belgier.
Nach Paris getragen hat Steels das Grüne Trikot, das den Sprintbesten der Tour auszeichnet, trotz seiner neun Etappensiege in drei Jahren Tour nämlich noch nie, selbst wenn er es über die Berge geschafft hat. Diese Ehre blieb die letzten vier Jahre stets Zabel vorbehalten – notfalls, wie 98 und 99 auch ohne Tageserfolg, fünfmal in Grün hat es gar überhaupt noch niemand auf die Champs-Éysées geschafft.
Zabel sagt nicht, dass er es sein will, dem dieses Kunststück als Erstem gelingt. Zabel sagt nur, dass er möglichst oft um den Etappensieg mitfahren und mindestens eine Etappe gewinnen möchte. „Wenn mir das gelingt, habe ich schon viel erreicht. Die Punkte fürs Grüne Trikot bekomme ich dann ja automatisch.“ Hört sich logisch an.
Heute geht es erst mal von Tours nach Limoges, und langsam wird es bergiger. „Ab Freitag sind die Etappen schwerer, da gibt es unterwegs etliche Steigungen, die Steels oder Wüst viel mehr zu schaffen machen als Erik. Das zahlt sich im Finish für ihn aus“, glaubt Olaf Ludwig. Heute hat Erik Zabel Geburtstag. Heute wäre wirklich ein guter Tag.
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