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„Jüdischer Separatismus wäre falsch“

Wider den Zwang zur Authentizitätskonstruktion: Der Avantgarde-Gitarrist Marc Ribot sieht sich nicht länger als Teil der New Yorker „Radical Jewish Culture“-Bewegung. Lieber adaptiert er mit seiner Band „Los Cubanos Postizos“ kubanische Klassiker. Garantiert ohne Buena-Vista-Echtheitszertifikat!

Was hat es mit dem Namen Ihrer derzeitigen Band, „Los Cubanos Postizos“, auf sich?

Wir spielen keine authentische kubanische Musik, deshalb der Name. Wir nennen uns aber auch nicht die „falschen Kubaner“, sondern „kubanische Prothesen“ – etwas Künstliches, das du an deinem Körper mit dir rumträgst . . .

Also vor allem ein Scherz?

Klar – aber für Leute, die mich nicht kennen, auch ein Hinweis darauf, dass man von uns keine normale Weltmusik zu erwarten hat. Ich möchte mich dem Zwang zur Authentizitätskonstruktion widersetzen.

Ich bin ein jüdischer Musiker aus dem New Yorker East Village, der sich mit kubanischer Musik beschäftigt. Die „kubanischen Prothesen“ zollen dem kubanischen Bandleader und Komponisten Arsenio Rodriguez Tribut. Als wir die „Prothesen“ starteten, fand ich einfach nur die Musik, das Material spannend. Doch dann wurden wir gleich nach einem unserer ersten Konzerte von einer großen Plattenfirma unter Vertrag genommen.

Roberto J. Rodriguez von der Miami Sound Machine ist der einzige Kubaner in der Band. Aber ich verstehe die Texte: Ich spreche genug Spanisch, um mich in Barcelona durchzufragen, wenn ich muss.

Auf dem Cover Ihres neuen Albums „Muy Divertido“ sehen Sie aus, als hätten Sie einen betrunkenen Fotografen gebeten, ein richtig lausiges Passbild von Ihnen zu schießen.

Es ist wohl eines der schlechtesten Coverfotos, das man in der Geschichte der Plattenindustrie finden kann. Man war hier ganz offensichtlich in Zeit- und Ideennot.

Das Innenfoto beim Friseur wurde aber von einer guten Freundin von mir gemacht, Lisa Rinzler. Sie ist eine anerkannte Kinofotografin, sie machte auch die New Yorker Fotos für den Buena-Vista-Social-Club-Film von Wim Wenders. Und das ist übrigens auch die einzige Beziehung der „Prothesen“ zum gegenwärtigen Kuba-Boom, um gleich die nächste Frage zu beantworten.

Sie haben in der Vergangenheit mit Tom Waits zusammengewirkt – was hat Ihnen diese Arbeit gebracht?

Ich erfand den Sound von „Rain Dogs“ und habe damit meine Gebrauchsqualität für den Popmarkt gezeigt. Mit und bei Tom Waits habe ich gelernt, wie man Platten macht.

Bei einigen Ihrer aktuellen Stücke hat man das Gefühl, dass eigentlich nur noch die Stimme von Tom Waits fehlt . . .

Das ist nicht zufällig. „Rain Dogs“ war stark beeinflusst von kubanischer Musik: ein imaginärer Gitarrist in einer imaginären Umgebung. Heute frage ich danach, wo die verschiedenen Einflüsse herkommen. Ich subtrahiere. Das Lied „Carmela Dame La Llave“ hat die selben Akkordfolgen wie „Jockey Full Of Bourbon“ von Tom Waits.

Sie zählen zur so genannten „Radical Jewish Culture“-Bewegung. Ist Ihr Projekt jetzt deren Kuba-Variante?

Ich nahm am ersten Radical Jewish Music Festival teil, das im September 1992 unter Leitung von John Zorn in München stattfand, und ich schrieb damals am Manifest mit.

Rückblickend bin ich der Meinung, dass es ein guter Zeitpunkt war, um jüdische Identität zu proklamieren. Die Republikaner waren damals im Aufwind, und in Deutschland spürte man ein Wiederaufflammen der Sympathie für die Nazis. Dass die unabhängige Musikszene auf einmal nicht mehr eindeutig von der neofaschistischen zu unterscheiden war, irritierte uns sehr. Mit dem Begriff der „Radical New Jewish Music“ wollten wir uns davon absondern.

Aber ich bin der Meinung, das der Titel nicht sehr glücklich gewählt war – er suggerierte, dass hier eine nationalistische Bewegung unterwegs sei. Ich hatte damals „Loud And Pushy“ als Festivaltitel vorgeschlagen, weil damit wenigstens angedeutet worden wäre, welche Musik einen erwartet.

Obwohl ich auf John Zorns Tzadik-Label veröffentliche, bin ich nicht weiter an dieser Szene interessiert. Ich fand es unerträglich, als Musiker anfingen, sich wie alte orthodoxe Juden zu benehmen. Ich habe nie eine Beziehung zu Klezmer-Musik gehabt, ich kam eigentlich erst durch Zorns Masada-Projekt damit in Berührung. Und ich finde, dass jüdische Musiker aus dem East Village sich nicht durch Klezmer repräsentieren sollten. Das ist konstruierte Authentizität in einer fast lächerlichen Pose.

Ist die Radical New Jewish Music nicht auch eine Antwort auf den afroamerikanischen Retro-Jazz von Wynton Marsalis?

Die Bewegung des Black Nationalism in den USA hat mittlerweile eine lange und prominente Geschichte. Ich bin nicht in der Lage zu überblicken, wie die Wirkung dieser Bewegung auf afroamerikanische Musiker ist. Ich würde mich auch nicht berufen fühlen, darüber zu urteilen. Ich kann nur sagen, dass es für jüdische Musiker der falsche Weg ist, den Separatismus zu wählen. Das war auch nie beabsichtigt – zumindest nicht mit den Projekten, an denen ich beteiligt war.

In fast jedem musikalischen Sektor gibt es heute Berge von CDs, auf denen alte Instrumente zu hören sind, aber eben nicht mehr zwangsläufig auch alte Musik. Die Radical New Jewish Music war produktiv, sie hat interessante Musik hervorgebracht. Heute ist ihre Zeit aber vorbei, aus meiner Sicht zumindest.

INTERVIEW: CHRISTIAN BROECKING

Marc Ribot Y Los Cubanos Postizos: „Muy Divertido“ (Atlantic/Warner)

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