: Schwimmende Relikte der Vergangenheit
■ Die „Kommodore Ruser“ gehört zu einer Generation von Lotsenschiffen, die im Spätsommer nach mehr als 36 Jahren ausgetauscht wird. Bericht einer Ausfahrt in die Elbmündung auf dem schwimmenden Überbleibsel aus den 60er Jahren
Die Tätowierungen auf den Unterarmen der Matrosen erzählen von manch privater Odyssee durch die Niederungen der internationalen Berufsschifffahrt, die letztendlich an Bord der „Kommodore Ruser“ geführt haben. „Die Arbeitsbedingungen für Seeleute haben sich seit den 60er Jahren stetig verschlechtert, da können Sie jeden nach fragen hier an Bord.“ Kapitän Mälzer weiß wovon er spricht. Er hat seine steile Karriere damals noch als Matrose bei Hapag Lloyd begonnen und so die ganze Entwicklung hin zu den Billigflaggen selbst miterlebt. „Ja, der erste spanische Matrose damals, das war doch noch eine Sensation!“
Die ist er nun mittlerweile selbst. Ein Kapitän mit einem Schifferfräse-Bart, einer mononationale Besatzung, auf einem 1964 gebauten Oldtimer, der längst nicht mehr den heutigen Ansprüchen genügt. Die letzten ihrer Art, auf ihrer noch nicht ganz letzten Fahrt.
Doch die Tage sind bereits gezählt. Im Spätsommer 2000 werden die alten „Lotsendampfer“ in der Elbmündung endgültig außer Dienst gestellt. Mit einem völlig neuen Konzept und innovativer Technik will der Lotsenbetriebsverein künftig Kosten und natürlich Personal sparen. Zwar erhält die „Kommodore Ruser“ vorläufig noch eine Gnadenfrist als Reserveschiff, doch die hypermodernen Neubauten werden die Lotsen und ihre Chauffeure dann unwiederbringlich in die Zukunft katapultieren. Vieles wird sich ändern.
„Mal sehen“, sagen sie und „Abwarten!“ Die Mannschaft ist erst einmal eifrig mit den letzten Vorbereitungen zum Ablegen und Einschleusen um 7.30 Uhr beschäftigt.
Routinemäßig reicht ein Schlachtergeselle Wanne um Wanne Fleischberge direkt in den Schiffsrumpf. Proviant für gut 25 Mann Besatzung und die Lotsen an Bord. Der Frische wegen in letzter Minute.
Den Mahlzeiten wird während der zweiwöchigen Seereise eine enorme Bedeutung beigemessen. Sie bringen die oft ersehnte Abwechslung ins Bordleben. Zwar läßt ein Blick in die Kombüse ein wenig Windjammernostalgie aufkeimen, und vielleicht hat es auf der „Bounty“ ganz ähnlich ausgesehen, doch der Smutje bereitet täglich drei warme Mahlzeiten, um einer Meuterei vorzubeugen. Vor- und Nachspeise inklusive.
Die Matrosen quittieren es mit dicken Bäuchen. Ständig umlagern sie seine Kochtöpfe. Wer Appetit hat, nimmt sich einfach, nur die Offiziersmesse benötigt dafür einen extra Steward. Ein Schiff ist eben auch immer ein Abbild der Welt im Kleinen, und sei es noch so klein.
Eigentlich ist jeder froh, hier gelandet zu sein. Die Seeleute an Bord werden nach deutschem Tarif bezahlt. Was ihnen aber viel wichtiger ist: Sie fahren zwei Wochen auf See und haben dann eine Woche frei. Immer im Wechsel. Da lohnt sich für Einige sogar die weite Anfahrt aus Mecklenburg-Vorpommern. „Familienfreundlich“, nennt der Kapitän das. „Die Jobs hier sind so begehrt, daß es richtige Wartelisten für die Anwärter gibt.“
Die „Kommodore Ruser“ wird nun ihr Schwesterschiff – die „Kapitän Hilgendorf“ – von einer zweiwöchigen Bereitschaft in der deutschen Bucht ablösen. Erst als die Hafenschleuse passiert ist, weicht die Hektik des Auslaufen allmählich jener unbeschreiblich zähen Gleichmut, die der Rhythmus der Wacheinteilung seit uralten Zeiten auf See auslöst. An Deck ist kaum noch jemand zu sehen. Und die Freiwache hat sich schon mal in ihre Kojen verzogen, um heute Nacht fit zu sein. Auch das Funkgerät oben auf der Brücke schnorchelt leise vor sich hin.
Wer war eigentlich Kommodore Ruser? Der Steuermann lacht verschmitzt. Er ist zwar schon ein paar Jahre dabei, weiß es aber immer noch nicht, und reicht die Fangfrage an den Kapitän weiter. „Herr Mälzer, wissen Sie, wer Kommodore Ruser war?“ Herr Mälzer weiß es. Und noch viel mehr. Die nächste Viertelstunde spult er sein Seemannsgarn ab. Von den Kommodores in weißen Uniformen, die während der Dampfschiff Ära hauptsächlich ihre reichen Passagiere unterhielten, um ihnen die langen Überfahrten zu versüßen. „Mit der Schiffsführung selbst hatten die nicht mehr viel zu tun, dafür hatten die ihre Offiziere.“ Ja, so war das wohl damals.
9.30 Uhr, Cuxhaven ist längst außer Sicht. Zeit für einen Lotsenkaffee in der Lotsenmesse. Ein rätselhafter Lotsensteward betreibt hier so nebenbei eine Art Kiosk, in dem er auf eigene Rechnung die allernötigsten Dinge des täglichen Bedarfs feilbietet. Neben Arbeitshandschuhen und Cadbury's Schokolade sind das auch Zigaretten und Schnaps für den Feierabend. „Großer Kaffee kostet eine Mark, läuft aber gerade durch.“
Die Teppiche und Polster der Messe sind im Retroschick erhalten. Das monotone Brummen der Motoren und das milchige Glas der Bullaugen entfalten schnell ihre einschläfernde Wirkung. Hier vertreiben sich die Lotsen die Wartezeit auf das nächste Schiff um es bis Brunsbüttel zu lotsen.
Mit den kleinen aber seetüchtigen Beibooten ihres Stationsschiffs werden sie an Bord der Kunden gebracht und von auslaufenden Frachtern wieder abgeholt. Lotsenversetzer arbeiten zu jeder Tageszeit, bei fast jedem Wetter. Der Service läuft. Aber anders als vor 30 Jahren fahren die modernen Containerschiffe den veralteten Booten mittlerweile davon. Um einen Lotsen an Bord zu nehmen müssen sie die Fahrt jedes Mal bis zur Manövrierunfähigkeit reduzieren. Das kostet Zeit und birgt immer auch ein gewisses Risiko.
Aber die Lotsen müssen nun mal an Bord. Gefahren werden die kleinen Versetzboote immer zu zweit. „Damit haben wir schon manchen Orkan abgeritten“, die Bootsbesatzung vertraut fest auf ihre orangefarbenen Nußschalen, steuern darf nur wer über genügend Erfahrung verfügt. „Erstmal fährt man vorne mit und hilft dem Lotsen beim Umsteigen an der Bordwand.“ Die steile Jakobsleiter an der Außenwand der großen Schiffe ist auf See meist der einzige Weg um an Deck zu gelangen. Bei Nebel, Dunkelheit und rauher See verlangt die Aktion Akrobatik. Wenn nichts mehr geht, bleibt nur noch der Hubschrauber.
Ist der Lotse durch solcherlei Strapazen ermattet, und will nicht warten bis der Kaffee endlich durchgelaufen ist, kann er auf einer Tafel gegenüber der Messe die ihm zugeteilte Koje erfahren, um eine Mütze voll Schlaf zu nehmen. Die zwei dämmerigen Räume mit je zwölf Kojen auf rund 15 Quadratmetern erinnern irgendwie an eine miese Jugendherberge. Der Seegang entfaltet hier seine unwohltuende Wirkung. Das die Lüftung zudem nicht erst bei Vollbelegung versagt, hat den Unterkünften den Spitznamen „Kotzbuden“ eingebracht.
Die Mannschaft hat es da mit ihren Vierererkabinen schon besser getroffen. Doch selbst der Kapitän wohnt auf der „Kommodore Ruser“ recht bescheiden. Trotzdem ist die Enge irgendwie gemütlich. Der Charme der 60er Jahre ist noch immer allgegenwärtig. Selbst der Maschinenleitstand unten im Schiff, ist mit grauem Resopal und dem Grün aller Maschinen und Apparate dieser Welt stilecht gehalten. Amperemeter auf der einen, Videorecorder auf der anderen Seite buhlen dort um die Aufmerksamkeit der diensthabenden Männer. Hinter einer großen Lärmschutzscheibe arbeiten die Motoren wie in einem Aquarium.
„Damit kann man sofort einen riesigen Satz machen,“ erklärt „Das Gespenst“ – benannt nach dem Maschinisten aus dem Film „Das Boot“. Beide Hände sind tief im Blaumann vergraben. „Das geht nur mit einem dieselelektrischen Antrieb. Ankern können wir ja nicht, sonst wären wir schon oft gerammt worden.“ Der Mann kommt einem merkwürdig bekannt vor. Irgendwie taucht der alte Maschinist mit seinen „Mickey Mäusen“ diesen Vormittag bald hier, bald dort unvermittelt auf, um genauso plötzlich und auf rätselhafte Weise wieder zu verschwinden. Er scheint gleichzeitig überall und nirgendwo zu sein, kennt zweifelsohne jeden Winkel seines Schiffs, und weiß bestimmt um jede Geschichte die es in den bisher 36 Jahren erlebt haben mag.
Um 10 Uhr 30 ist das Stationsschiff „Kommodore Ruser“ auf Position. Die „Kapitän Hilgendorf“ freut sich über die Wachablösung und bereitet sich auf die Rückfahrt nach Cuxhaven vor. An Bord des Heimkehrers riecht es auffällig stark nach Rasierwasser. Die Besatzung steht in Grüppchen herum, alles ist bereit für den Landgang. „Warum sind die denn so dünn“ werden die Gäste sofort gemustert. Also stimmt es mit der Verpflegung wohl auch hier!
Olaf Liebert
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