: Russisches Omelette
Der Sensibilisierung des Bildhauers Iwanow sei Dank: Östliche Einflüsse bereichern Berlin nicht nur kulinarisch, sondern auch optisch. Doch der Genuss auch hat seinen Preis, er ist nicht immer ohne Gefahr für Leib und Leben zu haben
von WLADIMIR KAMINER
Was machen die russischen Künstler in Berlin, wenn es heiß wird, das Ozonloch sich gnadenlos ausbreitet und die meisten Bewohner der Hauptstadt entweder wegfahren oder sich zu Hause verbarrikadieren und vor sich hinschwitzen? Die Russen treiben ihr schöpferisches Tun weiter, und nichts kann sie davon abbringen. Der Bildhauer Iwanow zum Beispiel hat sich gegen Alkoholismus sensibilisieren lassen. Er brach seine fast zwei Monate lang andauernde Trunksucht ab und konnte nun sein triumphales Werk vollenden – ein einzigartiges Design für eine von den Russen gerade eröffnete Sushi-Bar in der Friedrichstraße. Die Besitzer hatten den Künstler schon seit einer Ewigkeit überall gesucht und waren auf Iwanow stinksauer. Man kann sie gut verstehen: Alles war zur Eröffnung längst vorbereitet: drei Köche – zwei Mongolen und einer aus Vietnam – wurden engagiert, die Inneneinrichtung aus Amerika importiert und die Fische eingefroren. Nur das verdammte Design ließ auf sich warten.
„Pass auf, Iwanow“, sagten die Besitzer, wir wollen diesmal keine Schwierigkeiten mit dir kriegen, nicht wie das letzte Mal mit der verdammten Pizzeria. Mal uns einfach zwei große lachende Fische: einen blauen an die Eingangstür und einen roten an die Decke – und fertig ist unsere Sushi-Muschi-Bar.
An die Geschichte mit der Pizzeria erinnerte sich Iwanow ungern. Damals hatte er eindeutig mit dem Design übertrieben. Die Besitzer wollten echt italienischen Barock –mit Kerzenlicht und üppigen Figuren, geflügelte Jungs und Mädchen. Der Künstler wollte aber etwas Einzigartiges: Er kreierte eine ziemlich große Salamipizza aus Bronze, die er an der Decke befestigte. Aber schon bei der Eröffnungsparty, als die ersten Gäste zu tanzen anfingen, knallte sie wie eine Bombe auf das Parkett. Zum Glück wurde niemand verletzt.
Diesmal bestand die von ihm geschaffene Sushi-Bar-Dekoration aus sehr viel leichteren Materialien: hauptsächlich aus gelbem japanischem Papyrus, der mit Iwanows persönlichen Hieroglyphen bemalt werden sollte. Auf diese Hieroglyphen war der Künstler besonders stolz – wegen ihres authentischen Ursprungs: Er hatte sie im Delirium im Waschraum unter der Badewanne entdeckt. Die meisten Hieroglyphen hatten menschliche Augen, eins erinnerte Iwanow an seine vor drei Jahren verstorbene Mutter. Trotzdem konnte der Bildhauer sein Design schnell und fantasievoll vollenden. Alle waren glücklich, der Laden wurde eröffnet, die Hieroglyphen machten das Publikum neugierig. Vor allem japanische Touristen verbrachten so manche Stunde in dem Laden. Sie aßen nichts – fotografierten nur ununterbrochen die Wände.
Nach zwei Wochen brannte der an sich gut gehende Laden vollkommen ab. Der Koch aus Vietnam hatte mit einem der Köche aus der Mongolei eine Wette abgeschlossen. Er behauptete, dass Sushi gebraten genauso gut schmecken würde wie frisch. Um die Sache zu beweisen, brachte der Vietnamese eines Tages einen Grill zur Arbeit mit. Die Sushis benahmen sich sehr seltsam auf der Grillplatte: sie fingen Feuer, samt Laden. Die Mongolen meinten, die Ursache dafür sei der japanische Meerrettich, der eindeutig nach Benzin rieche.
Iwanow bekam derweil einen neuen Auftrag, die Nachricht, dass der Mann mit den goldenen Händen sich sensibilisieren ließ – und damit wieder nüchtern und zuverlässig geworden war – verbreitete sich schnell in Berlin. Diesmal sollte er für zwei Brüder aus Georgien einen Thai-Imbiss renovieren. Die drei inzwischen arbeitslos gewordenen Köche – der Vietnamese und die zwei Mongolen – wechselten kurze Zeit später ebenfalls zu den georgischen Brüdern rüber.
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